Ist Body Positivity feministisch oder nur ein weiterer Optimierungszwang? Vivian Sper über neue Körperbilder und widersprüchliche Botschaften.
„Ich habe eine Essstörung“, offenbarte kürzlich ausgerechnet eine der bekanntesten Fitness-Influencerinnen Deutschlands, Sophia Thiel, nachdem sie jahrelang mit Workouts, Ernährungstipps und Rezepten einer besonders jungen Zielgruppe zur Traumfigur verhelfen wollte. Das ist entweder an Ironie kaum zu übertreffen – oder aber wenig überraschend. Denn wir leben in einer Zeit der Gleichzeitigkeiten. Während neue und noch rigidere Schönheitsideale wie „thigh gaps“ und „ab cracks“ erfunden, „hip dips“ verteufelt und „brazilian butt lifts“ promoted werden, setzen große Marken auf Plus-Size Model, Heidi Klum ruft für Germany’s Next Topmodel eine „Diversity“-Staffel aus und Sophia Thiel veröffentlicht eben einen Ratgeber zum Thema Selbstliebe jenseits von Körperidealen. Wie passt das zusammen? Ist die Body Positivity im Mainstream angekommen und kann neben Fitness- und Schönheitsidealen existieren? Oder wird das revolutionäre Antlitz der Bewegung von einem Instagram-Filter überdeckt? Die Body Positivity, die sich aus dem Fat Acceptance Movement sowie feministischen und rassismuskritischen Ansätzen speist, ruft insbesondere Frauen dazu auf, unerreichbare Körperideale und Optimierungszwänge der Fitness- und Schönheitsindustrie aufzugeben. Seit einigen Jahren kursiert der Begriff in netzfeministischen Diskursen und Podcasts und flutet die sozialen Medien mit Bildern von „echten“ Menschen mit Dehnungsstreifen, delligen Beinen und Speckröllchen. Und auch an Ratgebern mangelt es nicht. Ich habe mir einige Body Positivity Bücher der letzten Jahre vorgenommen, um die Formeln und widersprüchlichen Botschaften der populär gewordenen Bewegung zu entziffern.
Das Problem: der unterdrückte Körper
Es ist keine bahnbrechende Erkenntnis, dass die Schönheitsindustrie über ihre immer neuen Diätideen und ihre Werbung Körpernormen herstellt, die als geschickte Strategie genutzt werden, damit besonders Frauen zu kaufwilligen Konsumentinnen werden. Körperideale erzeugen einen Bedarf, der dann praktischerweise von einer Produktreihe bedient werden kann. Seit Jahrzehnten weisen Feminist*innen und Wissenschaftler*innen sowie besorgte Eltern, deren Kinder mit der Wucht der sozialen Medien aufwachsen, darauf hin. Die Body Positivity Ratgeber nehmen diese Erkenntnisse als erneuten Ausgangspunkt; das ganze Ausmaß der Unterdrückung von Frauen über Körpernormen bildet einen Grundpfeiler der Bewegung. Die Verbreitung von Essstörungen, die Zunahme an Schönheitsoperationen und die Diskriminierung von sogenannten übergewichtigen Menschen seien sichtbare Zeichen dafür, dass Körper die Zielscheibe schädlicher Optimierungsversuche sind, die von obsessivem Körperhass begleitet werden und einer Vorher-Nachher-Logik folgen. Vertreter*innen der Body Positivity argumentieren zu Recht, dass die mentale Gesundheit unter dem Druck, das Make-Over zu erreichen, schön und fit zu sein, leidet. Das sei in negativen Auswirkungen für zwischenmenschliche Beziehungen und berufliche Ambitionen erkennbar. Die Maxime „Das mache ich, wenn ich den idealen Körper erreicht habe“, da sind alle Ratgeber sich einig, paralysiere das Leben.
Die Ursache: Der Gesellschaftskörper
Die Autorinnen der Bücher ordnen ihre persönlichen Erfahrungen mit Essstörungen und Körperhass in das Narrativ der Unterdrückung der Frauen ein, unterfüttert durch Statistiken und Studien, die ihnen Autorität verleihen. Rhetorisch gelingt das vor allem durch das Aufrufen einer vermeintlichen Gemeinschaft: „Wir hassen unseren Körper! Wir werden unterdrückt!“ Wer seinen Körper also vor einer Auseinandersetzung mit der Body Positivity bisher ganz okay oder eigentlich egal fand, wird spätestens jetzt dazu angehalten, jeden negativen Gedanken zum Körper oder zum Essen als ganz grundsätzliches Problem zu sehen, das mit der (weiblichen) Geschlechtsidentität zusammenhängt. Auffällig ist, dass in den Büchern andere Erfahrungen von Körperdiskriminierung, wie beispielsweise aufgrund einer Behinderung oder einer anderen Geschlechtsidentität, immer genannt werden, aber niemals im Zentrum stehen.
Während die Mehrzahl an Ernährungs- und Diätprogrammen immerzu suggeriert, dass es die Schuld des Individuums sei, nicht oder nicht dauerhaft abzunehmen – wegen mangelnder Disziplin oder falscher Einstellung – unterscheidet sich die Body Positivity dadurch, dass sie die Verantwortung ganz klar in der sexistisch-kapitalistischen Gesellschaft, in Unternehmen mit Profitgier und zweifelhaften Medizinern sieht. Vergeschlechtlichte Ängste über Veränderungen des Körpers, aufgrund von Alter, Schwangerschaft etc., werden hervorgebracht, verbreitet und kapitalisiert. Die These der Bewegung lautet, dass der weibliche Körper dadurch unterdrückt wird, dass Frauen sich an externem Körperwissen orientieren. Die Ratgeber sind in der Hinsicht also durch eine politische Haltung gekennzeichnet und sprechen sich deutlich gegen neoliberale Vorstellungen der Eigenverantwortung und unendlicher Optimierung aus.
Die Lösung: Der natürliche Körper
Nun ist es so, dass die Logik des Ratgebergenres leider verlangt, das Problem, das zwar ein gesellschaftliches ist, sich aber individuell manifestiert, als potentiell lösbar darzustellen. Die Lösung des Problems sehen die Autorinnen in der Wiederfindung des natürlichen Körpers oder Körpergefühls. Durch das Verlernen des gesellschaftlichen Körperwissens und Erlernen des „richtigen“ Körperwissens soll die gestörte Beziehung zum Körper in Glück und mentale Gesundheit verwandelt werden. Dazu stellen die Ratgeber alternative Vorstellungen über den Körper bereit, die vor allem biologische Erklärungsmuster bedienen. In Meghan Jayne Crabbes Buch Body Positive Power heißt es beispielsweise, dass sogenannte Frauenkörper ganz natürlich mehr Fett am Bauch ablagern, um die reproduktiven Organe zu schützen. Der Körper erscheint als Subjekt. Er weiß, welches Körpergewicht für das Individuum angemessen ist, wann, was und wie viel gegessen werden soll. Folglich soll die Ernährung im Sinne der Ratgeber ab sofort „intuitiv“ erfolgen. Kategorien um „böses“ und „gutes“ Essen und jegliche Regeln darüber, was wann konsumiert werden darf, müssen wir ablegen. Denn: Der Körper entscheidet. Jedes Organ und jede Funktion des Körpers zielen permanent darauf ab, einen gesunden Zustand herzustellen. Das interne Körperwissen soll also gesteigert werden, angeleitet durch außen, ein Paradox, das nicht aufgelöst wird.
Neben diesem als radikal neu konzeptualisierten Körperwissen – das tatsächlich mindestens seit den ’70ern in feministischen Kreisen zirkuliert – werden Techniken angeboten, um alte Körperideale zu verlernen, sich also von den „giftigen“ Effekten des Gesellschaftskörpers zu reinigen. Durch Techniken der Selbst- und Körperbeobachtung, Gedanken- und Gefühlsgestaltung soll das gestörte Verhältnis zum eigenen Körper geheilt und so das volle Potential des Leibs und schließlich des Individuums erneuert werden. Die Autorinnen empfehlen Selbst-Affirmationen, zum Beispiel in Form von Memokärtchen oder Post-Its, Übungen vorm Spiegel und das Verfassen von Briefen an den eigenen Körper. Auch das soziale und mediale Umfeld muss optimiert werden. Das bedeutet konkret, dass wir besser weniger Zeit mit Freund*innen verbringen, die ständig über „clean eating“ sprechen und dem GNTM-Nachwuchs bei Instagram konsequent entfolgen.
Body Positivity und Weltverbesserung
Der „Du bist genug!“-Slogan der Body Positivity erscheint mir nach dem Lesen der Ratgeber nicht ganz haltbar. Zwar ist hier nicht der äußerliche Körper Zielscheibe von Optimierungsversuchen, dafür jedoch die mentale Einstellung und die „natürlichen“ Funktionen des Körpers. Auf diese Weise werden Körpernormen durch Gefühlsnormen ersetzt und das Ideal des gesunden Körpers konstruiert und verbreitet. Und auch diese Normen beurteilen und hierarchisieren, sie problematisieren und sind die Grundlage für eine Veränderung und Wachstum. Das spielt den neoliberalen Bemühungen, das Individuum zu Eigenverantwortung und effizienter Ausschöpfung des eigenen Potentials anzureizen, natürlich in die Hände. Doch genau diese Arbeit an der mentalen Einstellung wird, wenn man den Büchern folgt, zur feministischen Pflicht zum Widerstand. Zwar sprechen die Autorinnen der Ratgeber zu den Leser*innen als geheilte Individuen, als personifiziertes Nachher-Bild der Body Positivity. Doch die persönliche Transformation wird mit einem gesamtgesellschaftlichen Make-Over verknüpft. Die geheilte Beziehung zum eigenen Körper soll auch eine Heilung des Gesellschaftskörpers nach sich ziehen. Wären wir alle body positive, würden wir uns mit Liebe begegnen und dem Kapitalismus und Patriarchat Märkte entziehen.
Und hier klingt bereits ein weiteres Paradox der Body Positivity an: Denn während es stimmt, dass die Bilder, mit denen wir Tag für Tag bespielt werden, immer diverser werden, ist es nicht so, dass die von der Bewegung kritisierten Unternehmen an Macht verlieren. Vielmehr scheinen sie sich noch besser auf eine junge, kritische Zielgruppe einstellen zu können. Und auch die Influencerinnen, die mit ihrer Body Positivity werben, sind gesponsert von großen Modeketten, Drogeriefirmen oder werden kurzerhand selbst zu Unternehmerinnen mit witzigen T-Shirts oder Selbstliebe-Workshops.
Unlängst musste die Body Positivity dafür Kritik einstecken. Beispielsweise prangern Vertreter*innen der Body Neutrality die Zentrierung von Schönheit an, die weiterhin nur durch Konsum zu erreichen sei. Denn auch inspirierende Bücher, als feministisch gelabelte Serien oder Leggins in allen Größen müssen erstmal gekauft werden. Darüber hinaus wird die Kritik laut, dass der online verbreitete Hype ausgerechnet von den weißen Frauen angeführt wird, die vielleicht nicht Größe XS tragen, aber wohl kaum für sogenannte übergewichtige, Schwarze oder queere Personen mitsprechen, geschweige denn, sie vertreten können. Und was ist mit Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten, wie hilft ihnen wohl das Argument, dass der Körper schon weiß, was er tut? Es ist fraglich, ob eine ausführliche Betrachtung dieser Kategorien sozialer Ungleichheit sich für das Ratgebergenre überhaupt eignet. Denn welche Self-Care-Techniken lösen strukturellen Rassismus oder Armut?
Wir bleiben also bei den Gleichzeitigkeiten, die sicherlich auch der Diversität der Bewegung selbst geschuldet sind. Body Positivity hat dazu geführt, dass mehr Menschen medial repräsentiert werden, dass viele leichter an Kleidung kommen, die ihnen tatsächlich passt, und sie hat den Gedanken vorangetrieben, dass Optimierung ihre Grenzen hat und Kapitalismus und Sexismus immer noch Hand in Hand gehen. Gleichzeitig wird Geschlecht erneut als wichtigste Kategorie aufgerufen, die alle anderen Ungleichheitserfahrungen in den Schatten stellt. Die Bewegung reizt Konsum an und beschert den Unternehmen Umsatz, die sich jetzt vielleicht der Sorgen westlicher Frauen annehmen, aber längst nicht für faire Arbeitsbedingungen der Frauen in Produktionsstätten einstehen. Letztlich lässt sich an der Body Positivity erkennen, was auch für andere feministische Bewegungen gilt: das ewige und verzwickte Wechselspiel von Macht und Widerstand, von Kritik und kapitalistischer Aneignung.
Weiterführende Literatur
Bordo, Susan (1993): Unbearable Weight: Feminism, Western Culture, and the Body. Berkeley, California: University of California Press.
Bührmann, Andrea D. (1995): Das authentische Geschlecht. Die Sexualitätsdebatte der neuen Frauenbewegung und die Foucaultsche Machtanalyse. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Duttweiler, Stefanie (2003): Body-Consciousness – Fitness – Wellness – Körpertechnologien als Technologien des Selbst. In: Widersprüche (87), 31-45. (2), 147-166. https://doi.org/10.1177/1367549407075898.
Gill, Rosalind; Elias, Ana Sofia (2014): ‘Awaken Your Incredible’. Love Your Body Discourses and Postfeminist Contradictions. In: International Journal of Media & Cultural Politics 10 (2), 179-188. https://doi.org/10.1386/macp.10.2.179_1.
Rothblum, Esther D.; Solovay, Sondra (Hg.) (2009): The Fat Studies Reader. New York: New York Unviersity Press.
Sastre, Alexandra (2014): Towards a Radical Body Positive. Reading the Online “Body Positive Movement”. In: Feminist Media Studies 14 (6), 929-943. https://10.1080/14680777.2014.883420.