Über Mythen, die Bedeutung von Namen und das Recht aufs Ausprobieren – Rewan Wagner klärt auf.
Das Thema Trans-Identität schlägt in den Medien immer wieder Wellen: Die Bundesregierung plant (seit Längerem), die rechtliche Situation von trans* Personen zu verbessern, die Namens- und Personenstandsänderung zu vereinfachen, auch schon für Jugendliche. Der Berliner Senat hat vor Kurzem offiziell erlaubt, dass Zeugnisse von Jugendlichen geschlechtsneutral formuliert werden können und somit inter* und trans*, insbesondere nicht-binäre oder agender Jugendliche, nicht misgendert werden. Diese Dinge wurden von Aktivist*innen lange gefordert, werden von Betroffenen sehnsüchtig erwartet. Mensch könnte hoffnungsvoll sagen: „Da tut sich etwas.“ Und das ist gut so!
Nicht nur wegen des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes häufen sich jedoch Berichte und Fernsehsendungen über Menschen, die retransitioniert sind oder sich in der Retransition befinden, also geschlechtsangleichende Maßnahmen rückgängig machen und wieder in dem ihnen bei der Geburt zugeordneten Geschlecht leben wollen. Ebenso häufig ertönen selbsternannte ‘kritische Stimmen’, die Jugendliche schützen wollen. Dadurch wird versucht, den Eindruck zu erwecken, als würden verwirrte Jugendliche, die im Geflecht der vergeschlechtlichten Rollenerwartungen dieser Gesellschaft an Grenzen stoßen, von Erwachsenen zu einer Transition überredet werden. Das ist natürlich nicht so. In diesem Beitrag möchte ich daher mit einigen Mythen im Bezug auf trans* Jugendliche aufräumen und stattdessen Möglichkeiten aufzeigen, wie mit dem Thema Trans*-Identität bei Jugendlichen pädagogisch umgegangen werden kann.
In meiner Masterarbeit forschte ich eigentlich zum Thema „Umgang mit kindlicher Sexualität in der stationären Jugendhilfe“ und wollte den Fokus auf die Jüngeren, die Kinder, legen, da es hierzu noch weniger Erhebungen gibt, als zu Jugendlichen. Doch viele meiner Interviewpartner*innen, die in Wohngruppen und Einrichtungen mit relativ weitem Altersspektrum arbeiten, beschäftigte das Thema Trans-Identität bei Jugendlichen so sehr, dass es in den Fokus meiner Erhebung rückte, obwohl ich gar nicht danach gefragt hatte. Zumeist wussten die Fachkräfte nicht, dass auch ich trans* bin.
Mangelndes Wissen und Unsicherheiten auch bei am Thema interessierten Fachkräften
Als Sexualpädagoge merke ich in Fortbildungen für Fachkräfte und auch in Gesprächen mit Jugendlichen ebenfalls, wie das Thema Pädagog*innen verunsichert und beschäftigt, egal in welchem Kontext sie beruflich mit jungen Menschen zu tun haben. Und das, obwohl ich meistens diejenigen treffe, die eher offen für Sexuelle Bildung sind. Woran liegt das und was können wir dagegen tun?
Sexuelle Bildung, das zeigen zahlreiche Studien und berichten alle, mit denen ich bisher gesprochen habe, kommt in der Ausbildung zu kurz: Egal ob im Lehramts- oder Soziale Arbeit-Studium, in der Erzieher*innen-Ausbildung oder anderen pädagogischen Berufen. Auch Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten gibt es zu wenige. Wenn darüber gesprochen wird, dann sehr häufig mit dem Schwerpunkt der sexualisierten Gewalt bzw. deren Prävention. Fehlendes Wissen macht jedoch unsicher. Gleichzeitig ist das Thema emotional und persönlich: Jede*r von uns hat ein Geschlecht und eine sexuelle Orientierung und daher betrifft und berührt es uns. Es ist gesellschaftlich tabuisiert, Scham und Ängste spielen eine Rolle. Es gibt kaum pädagogische Konzepte in Einrichtungen und die, die es gibt, sind oft nicht praxisorientiert, sondern bleiben theoretisch – und behandeln das Thema Geschlechtsidentität meist gar nicht, abgesehen von Verboten andersgeschlechtlicher Übernachtungsbesuche.
Viele Fachkräfte, die sich mit dem Thema Sexualität in der Jugendhilfe beschäftigen, wünschen sich einen anderen Umgang damit. Sie problematisieren, dass sexuelle Erfahrungen in Einrichtungen verboten sind und fragen zu Recht, wo die Jugendlichen denn sonst geschützt Erfahrungen sammeln sollen. Sie wünschen sich Aufklärung und die Möglichkeit, dass Jugendliche ihre Sexualität beispielsweise in der Wohngruppe ausleben können. Eine Fachkraft, die sich aktiv dafür einsetzt, dass die jungen Menschen in ihrer Einrichtung Sexuelle Bildung erhalten, formulierte es im Interview im Bezug auf das Ausgeben von Kondomen so:
„Des is doch gut, dann soll jeder ausprobieren und machen. Und Hauptsache, sie sind sicher bei dem, was sie tun.“
Sexuelle Erfahrungen sammeln, ausprobieren in sicherem Rahmen, das wünschen die Fachkräfte den Jugendlichen. Warum gilt das dann nicht auch für Erfahrungen mit der eigenen Geschlechtsidentität?
Trotz teilweise hohem Wissensstand zu jugendlicher Sexualität und selbstbewusstem Vertreten der Rechte der jungen Menschen, waren die Fachkräfte in meinen Interviews sehr unsicher „mit diesem Gender-Thema und trans und so weiter und so fort“ (Zitat). Sie berichteten von „Berührungsängsten“ und dass das zum Glück eine LGBTQ-Beauftragte übernehme. Konkret benannt wurden hierbei jedoch nicht etwa Themen wie die Zimmerbelegung, nachdem ein*e Bewohner*in sich geoutet hat und damit das Geschlechterverhältnis in der Wohngruppe plötzlich anders ist als geplant, die Unterstützung beim Outing in Familie und Umfeld oder bei Transitions-Maßnahmen. Das Thema Transidentität wurde ausschließlich über die Änderung des Namens verhandelt.
Die Sache mit dem Namen
Dies allein zeigt deutlich die Überforderung der Fachkräfte und ich möchte uns und Ihnen allen den Druck nehmen: Es gibt doch auch cis Jugendliche, also solche, die sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, identifizieren, die ihre Namen ändern! Das Kind, das wir nun Jahre lang „Momo“ genannt haben, findet diese Abkürzung plötzlich kindisch und besteht auf „Mohammed“, während die nun nicht mehr kleine Elisa plötzlich „Lilli“ viel cooler findet und so genannt werden möchte. Ja, das ist kurz ein bisschen ungewohnt, aber wir möchten junge Menschen und ihre Bedürfnisse schließlich ernst nehmen. Der Name ist ein wichtiger Teil der Identität und hier verschiedene Dinge auszuprobieren ist gut, wichtig und gehört zur Entwicklungsaufgabe im Jugendalter.
Aufgrund der rassistischen Normalitätskonstruktion der Mehrheitsgesellschaft kommt es auch immer noch vor, dass junge Menschen, in der Hoffnung, weniger Rassismus zu erfahren, den von ihren Eltern bekommenen Vornamen „eindeutschen“, also die deutsche Variante davon annehmen, oder sich einen „klassisch deutschen“ Vornamen statt des ursprünglich erhaltenen geben. Ob bzw. für wen das nun besser ist, entscheiden die Betroffenen selbst, aber: Auch das ist sozial akzeptiert.
Namen ändern sich, nicht nur wenn Menschen heiraten, sondern die ganze Zeit. Viele von uns haben außerdem in verschiedenen sozialen Rollen verschiedene Spitznamen, die ab und zu mal vom einen in den anderen Lebensbereich übertragen werden. Wir finden es völlig in Ordnung, wenn Menschen in manchen Kontexten Spitznamen benutzen und in anderen Kontexten nicht. Wir gewöhnen uns daran, dass unsere Freundin Andi in der Synagoge, Kirchengemeinde oder Moschee „die Andrea“ und bei der Arbeit „Frau Nguyen” ist und nennen sie auch entsprechend, wenn wir uns mit Menschen unterhalten, die sie unter diesem Namen kennen. Auch das ist quasi eine „Namensänderung“, wir müssen uns umgewöhnen und tun dies, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Selbstverständlich ist ein Name, der mit einem anderen Geschlecht assoziiert wird, als dem, welches wir dem jungen Menschen bisher zugeschrieben haben, vielleicht auch eine größere Umgewöhnung. Aber das liegt viel mehr an den Geschlechterbildern in unseren Köpfen als am Namen an sich.
Mythos: Trans* als Trend
Fachkräfte, mit denen ich über trans* Jugendliche spreche, haben große Schwierigkeiten, wenn trans* Jugendliche ihre Namen oder ihre Pronomen ändern. Häufig stoße ich auf den Mythos, „die“ würden das „ständig“ tun, so häufig, dass sich der „Aufwand“ da „mitzuhalten“ nicht lohnt. Ein hiermit eng verknüpfter Mythos ist der „Trend“ bzw. die „Welle“ des Trans*-Seins: Ganze Freund*innenkreise, ganze Wohngruppen, gar ganze Schulklassen seien dann auf einmal „alle trans*“. Durch besseren Zugang zu Informationen, der dazu führt, dass sich mehr Menschen früher im Leben damit auseinandersetzen, mag das vielleicht so wirken, aber: Das ist nicht so!
Menschen entdecken oft Dinge über Vorbilder und oft sind diese Vorbilder teil einer Freund*innengruppe, des Wohn- oder Arbeits- und im Jugendalter natürlich auch des Schulkontextes.
Also ja, wenn Jugendliche mit trans* Personen in Berührung kommen, also Vorbilder im sozialen Umfeld haben, mag es sein, dass die Wahrscheinlichkeit, sich mit ihrer Geschlechtsidentität auseinander zu setzen, steigt.
Eigentlich jedoch gehören geschlechtersensible Pädagogik, Geschlechterreflexion, pädagogische Bearbeitung von Geschlechterrollen schon längst zur pädagogischen Querschnittsaufgabe, egal in welchem Bereich pädagogische Fachkräfte tätig sind.
Werden wir hier unseren Ansprüchen gerecht, müssen wir auch keine Angst davor haben, dass verwirrte Jugendliche ihre Schwierigkeiten mit gesellschaftlichen Rollenerwartungen mit einer Trans*-Identität verwechseln. Wenn sie gelernt haben, dass Interessen und Charaktereigenschaften niemanden „männlich“ oder „weiblich“ machen, wissen sie, dass sie so, wie sie sind, in ihrer Geschlechtsidentität valide sind und andere, die ganz anders sind, auch.
Für mich persönlich beispielsweise hat meine frühe Auseinandersetzung mit Feminismus mein Coming out massiv verzögert, ja sogar erschwert. Denn ich fand es sehr schwierig, zu begründen, warum ich „trotz“ meiner Haltung, dass Geschlechterrollen abgeschafft werden sollten, „lieber ein Junge wäre“. Nur ging der Wunsch und das Gefühl eben nicht weg, egal wie sehr ich Zuschreibungen durchbrach und versuchte, mich selbst in einer Weiblichkeit zu finden. Doch nicht falsch verstehen: Das ist nichts Schlechtes! Auch wenn das genau das ist, was mensch Gutachter*innen gegenüber vehement abstreiten muss, damit die eine*n für „trans* genug“ halten, kann ich vor allen Dingen mir heute versichern: Ich bin keine Frau, ich hab es wirklich versucht! Jahrelang, auf verschiedene Weisen!
Ich hab mir das nicht ausgedacht und auch nicht ausgesucht. Niemand sucht sich aus, trans* zu sein. Und dementsprechend kann auch niemand dahin „verwirrt“ werden. Selbstverständlich könnten Menschen Kindern und Jugendlichen theoretisch einreden, dass sie trans* seien oder sie zum transitionieren zwingen. Allerdings nicht durch sachliche Information und schon gar nicht dadurch, dass sie die Äußerungen und Bedürfnisse der jungen Menschen ernst nehmen, sie unterstützen und empowern!
Gedankenexperiment: Geschlechtsidentität als Beruf
Wenn wir das tun und Jugendliche, wie wir es auch in anderen Bereichen, beispielsweise dem Berufswunsch, ausprobieren lassen, könnte es natürlich sein, dass auch mal ein junger Mensch fälschlicherweise denkt, trans* zu sein. Aber das ist in Ordnung. Niemand bekommt am Tag nachdem er*sie*ri das erste Mal Zweifel an der eigenen Cis-Geschlechtlichkeit geäußert hat, Hormone verschrieben und noch einen Tag später eine OP. Es wird auch niemand beim ersten Zweifel sofort den Namen und den Personenstand ändern lassen, selbst wenn das irgendwann möglich wäre.
Mal abgesehen davon, dass der Personenstand auch nicht die tatsächliche Geschlechtsidentität widerspiegelt oder spiegeln soll: Das ist eine rechtliche Schublade, die der Komplexität menschlicher Identität nicht gerecht wird und auch gar nicht den Anspruch erhebt, dies zu tun. Wir sind auf viele verschiedene Arten Männer, Frauen, Enbys und Inter*. Den Personenstand zu ändern, kann einigen von uns helfen, etwas „in der Hand“ zu haben, um gegen Diskriminierung vorzugehen, uns etwas sicherer fühlen lassen. Er wird jedoch niemals unsere Identität vollständig fassen.
Versuchen Sie, liebe Kolleg*innen, also doch mal, die Geschlechtsidentität wie z. B. die berufliche Zukunft zu sehen. Denn auch die Geschlechtsidentität kann sich im Laufe des Lebens verändern, auch hier ist es phasenweise für manche Menschen und auch das Umfeld super wichtig, eine Entscheidung zu treffen und in anderen Phasen steht das Thema im Hintergrund.
Wenn nun ein junger Mensch zu Ihnen sagt „ich möchte Schreinerin werden“, was tun Sie? Ich gehe mal davon aus: Sie akzeptieren das, vielleicht stellen sie ein paar Fragen, um sicherzustellen, dass der junge Mensch die richtige Vorstellung davon hat, was das bedeutet oder unterstützen ihn*sie*ri dabei, diese Informationen zu erhalten. Und dann unterstützen Sie den jungen Menschen auf ihrem Weg zur und durch die Schreiner*innen-Ausbildung, entweder bis diese abgeschlossen ist, oder bis der junge Mensch Ihnen sagt: „Das ist doch nicht das richtige.“ Entweder gibt es dann schon eine andere Idee, einen Plan B, oder Sie suchen gemeinsam danach. Leider gibt es auch hier aufgrund von Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Klassismus oder Sexismus Ausnahmen, doch meistens, wenn ein junger Mensch einen Berufswunsch äußert, reagieren wir nicht ungläubig und versuchen, ihm*ihr*rim das auszureden. Selbst wenn es vielleicht in unseren Augen nicht so gut passt. Vielleicht weisen wir auf Schwierigkeiten hin, aber oft sehen wir es auch als Chance, junge Menschen anzuspornen: Wie wäre es mit einem Praktikum? Einem Workshop zum Thema? Wir versuchen, die jeweiligen Stärken und Interessen zu fördern und dem Ziel dienlich einzusetzen und bei Herausforderungen zu helfen. Versuchen Sie doch, auch andere Teile der Identität, auch die Geschlechtsidentität, so zu sehen! Probieren Sie gemeinsam Namen, Pronomen und Label aus! Besprechen Sie das Thema auf unterschiedliche Arten, vernetzen Sie, suchen Sie Angebote anderer Einrichtungen zum Thema raus. Und wenn auf dem Weg dann auffällt, dass mensch irgendwo falsch abgebogen ist, na dann geht es eben im Zweifelsfall ein Stück zurück!
Und was ist jetzt mit dem „ständigen“ Namenswechsel?
Haben Sie eigene Kinder? Oder Sie wollen mal welche? Schon mal drüber nachgedacht, wie Sie die nennen wollen? Keine Kinder in Sicht? Okay, vielleicht haben Sie Nichten, Neffen, Patenkinder oder jüngere Geschwister?
Wie ist das denn mit dem ersten Namen, den wir bekommen? Üblicherweise bekommen wir den so rund um unsere Geburt, meist sucht den die Familie aus, die Eltern hauptsächlich. Und wie läuft das?
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich ein Geschwisterkind bekam: Da wurden Listen geschrieben mit Vorschlägen und dann durften alle möglichen Menschen „ihren Senf“ dazu geben. Verschiedene Dinge wurden bedacht und ein Name ausgewählt und wenn dann irgendein schlagendes Argument kam, warum der jetzt doch nicht so passend ist, dann wurde er eben wieder verworfen.
Dinge, die Familien bedenken, wenn sie Namen auswählen, sind z. B. ob er gut zum Nachnamen passt, welche Abkürzungen es dafür gibt und ob die schön sind, Witze, die mit dem Namen gemacht werden können. Aber auch, welche Dinge sie selbst und andere Menschen mit dem Namen verbinden. Die meisten von uns kennen Studien, dass bestimmte Namen die Bildungschancen ihrer Träger*innen negativ beeinflussen. Genauso gibt es Namen, die die meisten Menschen mit Erfolg und Intelligenz verbinden. Aber nicht nur das, auch eine Religions- und Schichtzugehörigkeit, Geburtsjahre, Regionen und Länder – alle möglichen Zuschreibungen werden mit Namen verknüpft.
Viele Menschen recherchieren dann auch die Bedeutung eines Namens und überlegen, ob ihnen diese gefällt. Manche Menschen gehen ausschließlich nach der Bedeutung. In Deutschland eher selten, aber in vielen anderen Ländern, sei es den USA, Nigeria oder Vietnam, tragen Menschen Namen, die sogar einfach in der dort gesprochenen Sprache Bedeutungen wie “Erfolg”, “Himmel”, “Weisheit”, “Hoffnung” haben oder werden nach Städten und Orten benannt (Success, Sky, Wisdom, Hope, Paris, Brooklyn,…).
Einige Menschen überlegen heutzutage auch, ob der Name sich auch international nutzen lässt und vor allem auf Englisch gut bzw. genauso klingt. Für Menschen, die mehrere Nationalitäten oder Kulturen haben, ist es oft entscheidend, dass der Name von allen Verwandten intuitiv korrekt ausgesprochen wird und nicht an ein unanständiges Wort in einer anderen Sprache erinnert.
Genau diese Überlegungen haben trans* Menschen auch. Und einiges anderes kommt noch dazu, was dazu führen kann, dass ein Name, den wir eigentlich total gut fanden, dann doch rausfällt: Zum Beispiel finden wir einen Namen, der noch näher an unserem Deadname [der abgelegte, von den Eltern erhaltene Name, der meist mit einem für die Person falschen Geschlecht assoziiert wird] ist. Oder wir stellen fest, dass der Name zu nah an unserem Deadname ist und wir deswegen regelmäßig den “alten” Namen zu hören meinen und uns unwohl fühlen. Oder wir stellen fest, dass es da einen Star oder Promi gibt, der*die* so heißt und den*die* wir überhaupt nicht gut finden. Oder einfach, dass der Name zwar toll ist, aber sich nicht nach mir anfühlt.
Ausprobieren ist wichtig, Trans*-Idenität nimmt niemand auf die leichte Schulter
Auch wenn sich Menschen nach dem Selbstbestimmungsgesetz im Vergleich zu heute viel Geld sparen, wenn sie ihren Namen ändern und das auch nicht mehr irreversibel sein wird: Es wird auch erwartet, dass wir uns dann wirklich mit dem Namen identifizieren. Das erwarten wir ja auch selbst! Also nicht nur jetzt, sondern auch, wenn wir 30 sind und 50 und 85 Jahre alt. Wenn wir den Namen auf Visitenkarten und auf die Kandidat*innenliste der Bundestagswahl oder der zum/zur Klassen- oder Elternsprecher*in eintragen.
Auch wenn es mit dem neuen Gesetz theoretisch möglich ist, den Namen wieder zu ändern, ist das im Umfeld schwierig, viele Dokumente müssen neu beantragt werden, was Zeit, Geld und Nerven kostet, und und und. Selbstverständlich tragen wir als Pädagog*innen die Verantwortung dafür, den Jugendlichen das im Zweifelsfall bewusst zu machen. Aber deswegen sollten wir erst Recht Verständnis und Unterstützung zeigen, wenn Jugendliche mehrere Namen ausprobieren, bevor sie sich endgültig für einen entscheiden.
Trans* sein ist schwierig. Zu oft wird es immer noch nicht von der Familie akzeptiert oder nicht bedingungslos. Zu oft werden falsche Pronomen verwendet, vor allem, wenn der Name „unpassend“ zum Beispiel männlich* oder weiblich* gelesen wird.
Daher kann es für Jugendliche auch ein erster Schritt sein, einen neutralen, weiblich* oder männlich* assoziierten Namen auszuprobieren, um zu sehen, ob das So-Wahrgenommen-Werden eher mit ihrem Gefühl, ihrer eigenen Geschlechtsidentität “matcht”, zusammenpasst, als der Name, den sie zuvor verwendet haben. Dann geht es noch gar nicht darum, den perfekten, endgültigen Namen zu finden, sondern erst mal zu gucken, “wie möchte ich wahrgenommen werden? Wie nicht?“
Die Gesellschaft zwingt uns immer noch, ein Label zu finden und uns zu rechtfertigen, warum es jetzt dieses eine und nicht ein anderes ist, warum wir ein trans* Junge und nicht nicht-binär, agender, kein Tomboy oder “einfach nur ein jungenhaftes Mädchen” sind oder eben andersrum, warum wir nicht-binär sind und kein trans* Mädchen. Wir werden gefragt, ob wir sicher sind, dass wir Geschlecht und sexuelle Orientierung auseinanderhalten können und vieles mehr. Deswegen müssen wir eben ausprobieren, um herauszufinden, welches Label jetzt so 100% passt, dass uns auch die Nachfragen nicht verunsichern und wir das “verkaufen” können.
Das ist übrigens auch der Grund, warum so häufig neue Label entstehen: Weil die Gesellschaft so viel vergleicht und oft darauf besteht, dass Menschen, die das eine nicht ganz, ganz genau treffend finden, ein anderes brauchen. Das ist schwierig und dauert und braucht Fehlerfreundlichkeit.
Identitätsfindung ist ein Prozess und im Jugendalter auch eine Entwicklungsaufgabe, das haben wir doch alle in der Ausbildung gelernt. Es ist unser Job, diesen Prozess zu unterstützen. Wir haben uns diesen Job ausgesucht, niemand zwingt uns dazu, mit Jugendlichen zu arbeiten. Wir können auch mit kleinen Kinder arbeiten, mit Erwachsenen oder uns einen Verwaltungsjob suchen. Fun Fact: Auch da sind trans* Menschen!
Ich glaube, die allermeisten trans* Personen, auch die, die sich viel später erst outen, probieren verschiedene Namen aus. Erwachsene machen das vielleicht eher allein, mit Freund*innen oder in der queeren Community, weil sie versuchen, dem Stigma zu entgehen und outen sich oft erst, wenn sie sich mit dem Namen sicher sind.
Aber wenn Sie da einen jungen Menschen haben, der Ihnen so weit vertraut, dass er ausgerechnet Sie bittet, ihn*sie*ri mit einem anderen Namen (und/ oder Pronomen anzusprechen), dann schätzen Sie das doch bitte wert und respektieren Sie das.
Und wenn Sie da einen jungen Menschen haben, der so stark von Ihnen abhängig ist oder so stark unter dem anderen Namen (und/ oder Pronomen) leidet, dass er Sie bitten muss, ihn* sie*ri anders anzusprechen, auch wenn er*sie*ri eigentlich wenig Unterstützung von Ihnen erwartet, dann machen Sie es ihm*ihr*rim doch nicht noch schwerer.
Jedes Outing kostet Kraft und Mut! Das passiert nicht einfach so.
Und wenn ein junger Mensch sich mit seinem Gender auseinandersetzt, ein bisschen was ausprobiert und dann doch sagt “nee, alles gut, bleibt alles wie es war”, dann ist das völlig in Ordnung. Wenigstens wird diese Person mit großer Wahrscheinlichkeit Geschlechterrollen und Klischees hinterfragen und damit weniger sexistisch, weniger toxisch maskulin, weniger trans*- und homofeindlich und insgesamt toleranter und sensibler werden durch diesen Prozess, ist doch toll! Und mehr zu sich selbst finden!
Aber auch dieser junge Mensch wird sich auch hinterher noch freuen, dass Sie ihn*sie*ri unterstützt und ernst genommen und das Ausprobieren respektiert haben, statt es abzuwerten. Alle anderen in Ihrer Klasse/ Gruppe/ Einrichtung lernen durch Ihr Vorbild Toleranz und Akzeptanz und eine andere Person traut sich vielleicht genau wegen dieser Erfahrung, sich zu outen. All das können Sie aber im Vorfeld nicht wissen, vielleicht ist der junge Mensch auch trans*.
Vielleicht weiß diese*r Jugendliche noch nicht genau, was seine*ihre*rire Identität ist, aber vermutlich weiß er*sie*ri es doch besser als Sie?
Sicher ist: Kein Mensch wird trans*, nur weil Sie oder irgendwer (eine Zeit lang) einen anderen Namen oder ein anderes Pronomen für diesen Menschen benutzen. Aber auch kein Mensch wird cis, nur weil Sie oder alle sich weigern, die Trans*-Identität dieses Menschen zu respektieren.
Studien zeigen, dass eine einzige unterstützende Person das Suizidriskio einer jungen Trans*person um 55% senken kann.1 Also warum entscheiden Sie sich nicht einfach dazu, diese eine Person zu sein?
Wie heißt es so schön auf allerlei Demo-Schildern: Wir wollen nicht, dass aus cis Kindern trans* Kinder werden. Wir wollen, dass aus trans* Kindern trans* Erwachsene werden.
Jugendliche dürfen doch auch Berufswünsche 5, 10, 25 mal ändern und wir ermutigen sie sogar dazu, weil wir ihnen wünschen, etwas zu finden, das wirklich zu ihnen passt, mit dem sie glücklich werden. Warum machen wir das nicht mit Namen, Pronomen, Gender genauso?
Quellen
Masterarbeit „Umgang mit kindlicher Sexualität in der stationären Kinder- und Jugendhilfe“, sowie die hierzu erhobenen Daten (unveröffentlicht, 2022)
Forschungsarbeit „Sexualpädagogische Konzepte in der stationären Kinder- und Jugendhilfe“ (unveröffentlicht, 2021)