Die Hetzjagd auf das Portal ruft kaum Reaktionen in sexismuskritischen Medien hervor – warum wir uns solidarisieren, schreibt Claudia Wallner.
Am 9. Mai 2019 ging das Regenbogenportal online. Am 10. August 2020 wird dort ein Artikel in leichter Sprache veröffentlicht, der Jugendliche, die sich ihres Geschlechts ggf. nicht sicher sind, direkt adressiert mit dem Hinweis, dass es die Möglichkeit gibt, Pubertätsblocker zu nehmen
„Bist du noch sehr jung? Und bist du noch nicht in der Pubertät? Dann kannst du Pubertätsblocker nehmen.“
Nur 26 Monate nach Erscheinen des Artikels entdeckt die CDU Abgeordnete Julia Klöckner den Satz auf dem Portal und tritt einen angeblich aktuellen Shitstorm los. Sie twittert am 12.10.2022:
„Das ist doch irre – sollte das kein Fake sein: Bundesregierung empfiehlt sehr jungen, unsicheren Menschen Pubertäts-Blocker“ (Link)
Und es dauert nicht lange, bis die „üblichen Verdächtigen“ aufspringen und sich empören: voran Beatrix Storch von der AfD direkt unter dem Klöckner-Tweet, in dem sie der Bundesregierung einen widerwärtigen und strafrechtlich relevanten Aufruf zur chemischen Kastration vorwirft. Es folgt die BILD am gleichen Abend mit der Headline:
„Ohne Hinweis auf Risiko und Folgen
Familienministerum rät Kindern zu Pubertätsblockern“ (Link)
Und damit ist die Hetzjagd auf das Portal eröffnet. Am 13. Oktober folgen ebenso kritische Artikel u.a. in der Jungen Freiheit, faz.net, Welt online, nzz online und Tichys Einblicke – allesamt mindestens konservative Medien. Das Regenbogenportal ging am gleichen Tag offline, eine Pressemeldung des BMFSFJ spricht ebenfalls am 13.10. von Serverüberlastung als Grund (Link).
Erfolglos sucht mensch unterstützende und den Shitstorm kritisierende Artikel bspw. der taz, der Süddeutschen, der Zeit – der Medien also, die ansonsten Sexismus, Gewalt gegen queere Menschen und rechte Politiken scharf kritisieren oder der großen Verbände queerer Communities. Lediglich das Portal queer.de (Link) und BildBlog (Link) klären umfänglich und mit Verlinkungen über die Kampagne auf, die rechtskonservative Medien und Kreise einer Sommerlochnachricht gleich losgetreten haben. Höchste Empörung über die angeblich rot-gelb-grüne Politik, vermeintlicher Kinderschutz als Schießpulver gegen Aufklärungsarbeit für trans* Jugendliche, interpretiert aus einem über zwei Jahre alten Artikel in leichter Sprache auf einem Portal, das zu der Zeit eine schwarz-rote Regierung zu verantworten hatte, verkauft als aktueller Skandal eines grünen Ministeriums.
Zwei Dinge werden hier aus unserer Sicht deutlich:
- Dass es trans* Menschen gibt und diese – bis vor wenigen Jahren als „krank“ diffamierte – ein Recht auf gleichberechtigtes Leben, Sichtbarkeit und Informationen haben, scheint konservative und rechte Kreise über die Maßen zu triggern. Nur so lässt sich erklären, warum CDU Ex-Ministerin Klöckner einen zwei Jahre alten Artikel ausgräbt, negiert, dass er in leichter Sprache verfasst ist und einen Hinweis zu einer versuchten Körperverletzung hochstilisiert. Etwas, das faktisch gesehen keiner Nachricht Wert wäre, führt innerhalb weniger Stunden mit Hilfe der BILD dazu, dass das BMFSFJ sich eines veritablen Shitstorms gegenüber sieht und dass die gesamte Website stundenlang offline geht. Die kritisierte Textpassage steht in keinem Verhältnis dazu, was (rechts)konservative Politiker*innen und Medien daraus gemacht haben.
- Dass diese bösartigen und überzogenen Vorwürfe gegen das Regenbogenportal und deren Instrumentalisierung durch (rechts)konservative Kreise kaum Gegenreden und Solidarisierung queerfreundlicher Medien und Politiker*innen hervorgerufen haben (ausgenommen der Queerbeauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann). Zu mutmaßen, warum dies nicht geschah, steht uns nicht zu. Allein, dass es so ist, wirft Fragen auf.
Fakt ist, dass die Kritik von Klöckner und anderen Teil einer großen Bewegung ist, die Stimmung macht gegen die große Veränderung, die das Selbstbestimmungsgesetz mit sich bringen wird: dass die Geschlechtszugehörigkeit von Menschen zukünftig nicht mehr über die Biologie ihrer Körper (rechtlich) bestimmt wird, sondern über das Geschlechterwissen jeder einzelnen Person selbst. Das ist und wird ein großer Umbruch auch im gesellschaftlichen und rechtlichen Selbstverständnis von Geschlechtern/Geschlechterverhältnissen mit sich bringen, die heute vollumfänglich noch gar nicht sichtbar sind. Solche gesellschaftlichen Umbrüche rufen bei vielen Menschen Ängste hervor aber auch Wut und Aggressionen gegen diejenigen, die von diesen Kräften so nicht gewollt sind. Insofern ist nicht verwunderlich, dass diese Kräfte über jedes Stöckchen springen, das sie finden können. Dass aber – gerade, wenn Vorwürfe so absurd sind wie in diesem Fall – kein Gegenshitstorm ausgelöst wird von fortschrittlichen, queerfreundlichen und antisexistischen Kreisen und Medien, lässt viele Fragen an Solidarität offen.
Wir als Projekt meinTestgelände solidarisieren uns ausdrücklich mit dem Regenbogenportal. Die Vorwürfe gegen die Textpassage entbehren jedweder Grundlage: leichte Sprache stellt Zusammenhänge einfach dar und jede*r Jugendliche*r, die_der, angeregt durch den Hinweis, überlegt, Pubertätsblocker zu nehmen, wird diese eh nur nach ausführlicher psychologischer und ärztlicher Beratung erhalten. Insoweit liegt auch in der Ursprungsfassung keine Gefährdung vor. Deshalb interpretieren wir den Empörungsakt als das, was er ist: eine Möglichkeit, medial wirkungsvoll gegen queeres und trans* Leben und gegen Organisationen und Angebote, die sich für diese Gruppen einsetzen, zu schießen.