Wut meets Müdigkeit: Gedanken zum feministischen Kampftag

Während ich diesen Text schreibe, treffen bei Blumenverkäufer*innen schon die ersten Rosenbestellungen ein, sortieren Influencer*innen ihre Rabattcodes und sitzen Menschen an pastellfarbenen Grafiken für Social Media. Hört sich an wie die Vorbereitung für den Valentinstag, meint aber die schablonenhafte Bearbeitung des 8. März, dem Internationalen Frauentag aka feministischem Kampftag.

Dass auch politische Anlässe kapitalistisch verwertet werden – keine Neuigkeit. Beunruhigend ist eher die Tatsache, dass diese Schablonenhaftigkeit anscheinend auch für die Themen gilt, die an dem Tag mal wieder hervorgeholt werden.

Wirft mensch zum Beispiel einen Blick in die städtischen Programme zum Weltfrauentag, mag sich bei der ein oder anderen eine gewisse Müdigkeit einstellen.

Da sprechen Referent*innen über die beeindruckenden Frauen, die vor uns kamen und viel erreichten. In Museumsbesuchen und Stadtführungen dürfen wir auf eine – nein auf unsere – Geschichte des Kampfes zurückblicken. In Workshops werden Frauen Grundlagen des Investierens nahegelegt und angeprangert, dass es so wenig Frauen in Führungspositionen gibt – und überhaupt seien sie ja die besseren Gründerinnen.

In weiteren Kursen lernen Frauen dann, wie sie „stolz“ sein können, sich selbst verteidigen, gegenseitig empowern, gendern, achtsam spazieren.

Vereinzelt wird auch über Afghanistan gesprochen, über die Situation von Frauen* im Iran. Oder interkulturell gekocht, mit „orientalischen“ Rezepten.

Die Illustrationen der Programme zum 8. März sind diverser als das Line-Up selbst

Beim Lesen der sorgfältig gestalteten Flyer, auf denen uns oft vielfältige, illustrierte Personen entgegenlächeln, kommt die Frage auf: Für wen sind diese Programme eigentlich geschrieben? Wer hat die Zeit und Ressourcen, daran teilzunehmen? Und: Ist das wirklich ‚unsere‘ Geschichte des Frauenkampfes, die da erzählt wird, oder nur die von weißen cis-Bildungsbürgerinnen?

Gedankenexperiment: Nehmen wir einmal an, an diesem 8. März würden wir folgende Themen zentrieren:

  • Altersarmut unter Frauen*,
  • Situation von alleinerziehenden Frauen*,
  • Situation von geflüchteten Mädchen* und Frauen*,
  • Unterdrückung von Frauen* und Mädchen* durch die Religionen hindurch,
  • Rassismus gegen Schwarze Mädchen* und Frauen*,
  • (Cyber)mobbing gegen Mädchen*, gegen feministische Aktivist*innen,
  • Rechte von trans*, inter* enby.

Würde uns dann auffallen, wie wenig zuvor FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter, Nonbinary, Trans, Agender)an der Festlegung von Schwerpunkten beteiligt waren, die z.B. Schwarz sind, trans*, arm, nicht-Deutsch? Würden einige von uns dann auf diesen Veranstaltungen unangenehme Blicke austauschen, weil wir gerade nur über andere Personen sprechen können, aber nicht mit ihnen und schon gar nicht in ihrem Namen?

Vielleicht läge die peinliche Berührtheit auch darin, dass es kein Panel, keinen DIY-Workshop, keinen Kurs geben kann, der die oben beschriebenen Probleme bearbeitet: Auf individueller Ebene lassen sich nachhaltig eben keine strukturellen Schieflagen behandeln.

8. März: Mehr Happening als politischer Kampftag

Das klingt wenig empowerned, wenig nach „Selbst ist die Frau“? Natürlich liegt das Problem nicht an den sicherlich aufwendig erstellten Programmen von Gleichstellungsbeauftragten. Ganz davon abgesehen stellt der 8. März immer wieder einen Tag dar, an dem mensch sich umschaut und feststellt, dass sich nicht viel geändert hat. Dass viele Dinge, die wir im letzten Jahr mit Glitzerstift auf Plakate geschrieben haben, immer noch gelten.

Also kramen auch Redakteur*innen wieder die gleichen Fragestellungen und Bestandsaufnahmen aus den Schubladen und fordern: gleiche Bezahlung, das Recht auf Abtreibung, Quoten. Kein Wunder, dass manch eine sich wie Bill Murray in „Und täglich grüßt das Murmeltier“ fühlt. Selbstverständlich sind das alles wichtige und notwendige Forderungen – die hier nicht zur Diskussion stehen. Ich frage mich nur, wer hier spricht; und ob diese Personen wohl auch Themen außerhalb der eigenen Communities im Blick haben: Was ist mit all den FLINTA*, die keinen Kanal haben, auf dem ihnen zugehört wird? Die keine Zeit haben und nicht die ‚geeignete‘ Sprache, um am Diskurs teilzunehmen?

Die Diskrepanz zwischen den Forderungen und dem, wofür den Rest des Jahres über (nicht) gekämpft wird, ist schon länger Gegenstand von Diskussionen und wird mit der zunehmenden Kommerzialisierung nur noch deutlicher. Der Verdacht drängt sich auf, dass der Tag vor allem eine Performance darstellt. Eine Gelegenheit für Organisationen, Unternehmen, für uns selbst, uns als gute Feminist*innen zu präsentieren.

Ebru Tasdemir findet bereits 2021 die treffenden Worte: „Das massentaugliche Etikett Feminismus bringt zwar die Oberfläche zum Glänzen – aber die gesellschaftlichen Strukturen, in denen wir leben, müffeln noch immer nach Patriarchat.“

Was wir anders machen können

Was also tun, um den 8. März zu repolitisieren und marginalisierte Perspektiven zu zentrieren? Hier ein paar Impulse:

  1. Das Wording ist wichtig:
    Zunächst einmal sollten wir uns den Begriff des „Frauentags“ noch einmal vornehmen. Länger schon greifen Aktivist*innen und Organisationen auf die Bezeichnung „feministischer Kampftag“ zurück. Aus gutem Grund, denn, wie Hengameh Yaghoobifarah sagt: „Alle Männer, die nicht Cis-Männer sind, tragen den feministischen Kampftag ja mit, die Auswirkungen des Patriarchats betreffen auch Agender- und Nonbinary-Personen.“ Die Verwendung des Begriffs hat also den Effekt, dass all die Perspektiven mitgedacht werden müssen, die Anliegen für den feministischen Kampftag haben. Zum Beispiel trans* Personen, die weiterhin auf das Selbstbestimmungsgesetz hoffen, das schon letztes Jahr hätte kommen sollen. Und der Begriff „feministisch“ würde, wenn er an dem Tag mitgedacht wird, eben auch bedeuten, über Intersektionalitäten nachzudenken. Wer das ganze Jahr über behauptet, „my feminism will be intersectional or it will be bullshit“, der sollte auch am 8. März nicht von einer universellen weiblichen Unterdrückung ausgehen (wir werden schlechter bezahlt, wir werden gecatcalled). Sondern von FLINTA* anstatt Frauen sprechen und z.B. die Stimmen von people of color oder FLINTA* die behindert werden, mitdenken. Beim Schreiben von Beiträgen, bei der Erstellung von Infografiken für Instagram und eben beim Konzipieren von Programmen.
  2. Streiken anstatt feiern:
    Anstatt meiner Mutter bei WhatsApp einen frohen Kampftag zu wünschen, habe ich mir vorgenommen, nun auch mal wieder einer Praktik nachzugehen, die dank Pandemie und 8.-März-Müdigkeit eingeschlafen ist: Auf die Straße zu gehen. Seit 2015 in Lateinamerika Feminist*innen unter dem Slogan „Ni Una Menos“ („Keine einzige weniger“) auf die Straßen gehen, um Femizide anzuprangern, folgte auch global die Organisation feministischer Streiks. Sich einem Streik und Protest anzuschließen verbindet nicht nur Menschen und verschiedene Organisationen untereinander. Ebenso bunt und wütend können die Themen sein.
  3. Wut nicht wegstricken:
    Auch wenn gut gemeinte Strick- und Stickaktionen Frauen dazu auffordern, catchy Sprüche auf Taschen zu sticken („We are angry!“) bin ich überzeugt, dass wir auch anderweitig aktiv bleiben dürfen. Nicht jeder schafft es auf die Straße, nicht jeder hat die Zeit oder Kapazitäten, überhaupt bis ans Ende dieses Beitrags zu lesen. Was trotzdem geht: Petitionen unterschreiben, Beiträge, Podcasts und Stimmen, die zu wenig gehört werden, mit allen teilen, die wir kennen.

In diesem Sinne: Bleibt wütend und solidarisch, am 8. März, an den anderen 364 Tagen, auf der Straße, im Netz, auf Podien, in Workshops und auf dem Sofa.