Alle Geschlechter sind willkommen

„Es können alle mitmachen“ reicht nicht aus, gerade um marginalisierte Jugendliche zu erreichen. Dafür braucht es gezielte Ansprache und Einladung.

Die Zahl der Autor*innen auf meinTestgelände steigt ständig; Jugendliche und junge Erwachsene unterschiedlicher sexueller Orientierungen sowie verschiedener geschlechtlicher Verortungen veröffentlichen ihre Geschichten und Sichtweisen auf meinTestgelände.

Die Frage ist: wie ist das gelungen? Denn oftmals sind diese Welten getrennt, auch im Netz. Es gibt queere Portale, die die Belange von schwulen, lesbischen, bi- oder pansexuellen Jugendlichen transportieren (z.B. www.queerblick.de). Es gibt Websites, die Themen von trans*- und inter*jugendliche in den Mittelpunkt stellen (z. B. www.meinGeschlecht.de).

Äquivalente Websites, die explizit den Fokus auf Mädchen* oder Jungen* legen, sind nicht zu finden.

Websites, die aus Geschlechterperspektive alle in den Blick nehmen (z. B. www.klischee-frei.de, www.Regenbogenportal.de, www.Gender-Mediathek.de), sind nicht auf Jugendliche beschränkt und fassen Beiträge ÜBER Jugendliche zusammen, selten aber Beiträge VON Jugendlichen.

Ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal von meinTestgelände ist, dass wir junge Menschen unterschiedlicher Geschlechter und Jugendliche verschiedener Liebensweisen zusammen bringen und dass wir ausschließlich die Jugendlichen selbst zu Wort kommen lassen. Im Kanon der vielen und vielfältigen Websites zu Geschlechterthemen erfüllen wird damit den Anspruch der Repräsentation (geschlechtlicher) Vielfalt, der aktuell ein wichtiger fachpolitischer Aspekt gerade in der pädagogischen Arbeit ist (z. B. Erklärung des Bündnis „klischeefreie Vielfalt in Kitas https://www.chance-quereinstieg.de/aktionstag/erklaerung). Wie aber gelingt uns diese gelebte Vielfalt?

Es können ja alle mitmachen“ funktioniert nicht

Unsere Erfahrung ist, dass, wer nicht explizit eingeladen wird oder sich über die Präsentation des Projekts angesprochen fühlt, weil sie*_er* sich dort wiederfindet, auch nicht mitmacht. Dies gilt insbesondere für ausgegrenzte und marginalisierte Jugendliche und junge Erwachsene. Im Kontext von Geschlecht sind das insbesondere trans* und inter* Jugendliche, in Bezug auf geschlechtliche Orientierungen schwule, lesbische, bi- oder pansexuelle junge Menschen. Wir denken, dass das einerseits mit der Ausgrenzung dieser Gruppen zusammen hängt (sie wissen, dass Formulierungen wie „mit gemeint“ sie oft eben nicht mit meinen) und andererseits, dass – wie oben beschrieben – Projekte für Jugendliche die Gruppen in der Regel getrennt ansprechen.

Aber auch Jungen* und Mädchen* fühlen sich bei Geschlechterthemen unterschiedlich angesprochen: Jungen* zeigen sich zögerlicher, Mädchen* sind die Geschlechtergruppe, die am ehesten von allen Zugang findet, sich selbständig und aktiv beteiligt. Aus unserer Sicht hat das damit zu tun, dass Geschlechterthemen eher weiblich konnotiert sind. Für Jungen* und junge Männer ist alleine diese Verknüpfung schon ein Hindernis, da es als „unmännlich“ erscheint, sich mit Geschlechterthemen zu befassen. Es ist im Gegenteil sogar möglich, dass gerade Jungen*, die Männlichkeitsbilder klassisch nicht erfüllen, zur Wahrung ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der „Männer“ Abstand zu Genderthemen halten.

Marginalisierung als Hemmfaktor der Beteiligung bezieht sich aber nicht nur auf Geschlecht und sexuelle Orientierung sondern auf alle Ausgrenzungsfaktoren: Jugendliche mit Handicap/Behinderung, mit sichtbarem oder zugeschriebenem Migrationshintergrund, medial oder politisch problematisierter Religionszugehörigkeit, PoCs oder von Armut betroffene Jugendliche haben im Aufwachsen gelernt, dass sie nicht gemeint sind, dass ihre Standpunkte und Sichtweisen nicht zählen, nicht interessieren. Insofern sind auch sie – so unsere Erfahrung – zurückhaltend, wenn allgemeine Einladungen an Jugendliche ausgesprochen werden sich zu beteiligen.

Wir meinen genau dich!

Zwei Konsequenzen haben wir aus diesen Erfahrungen für den Aufbau und das Betreiben von meinTestgelände gezogen:

  • Wir müssen von Anfang an aktiv darauf hinwirken, dass wir genau diese Gruppen von Jugendlichen finden und explizit einladen mitzumachen
  • Wir müssen beim Ausbau von meinTestgelände permanent steuernd darauf achten, dass nicht die, die am leichtesten Zugang finden und sich angesprochen fühlen, die Seite dominieren, weil es eben auch für uns leichter wäre, die Seite mit Beiträgen zu befüllen.

Deshalb haben wir gerade in den ersten Jahren viel Energie darin investiert, Jugendlicher marginalisierter Gruppen zu finden und explizit einzuladen mitzumachen. So gelang es, die Seite von Anfang an breit aufzustellen, was wiederum dazu führte, dass weitere Jugendliche und Gruppen sich beteiligen wollten, die sonst oftmals kein Gehör finden.

Wir haben also genau solche Jugendlichen aktiv gesucht. Sie dann zur Mitarbeit zu bewegen, war oftmals gar nicht schwer, weil diese Jugendlichen und jungen Menschen es als Möglichkeit für sich erkannten, ihre Sichtweisen auf einer Plattform zu veröffentlichen, die für alle ausgewiesen ist und damit zum Mainstream dazu zu gehören. Dies gilt bspw. für junge Menschen mit Behinderung oder Handicap, die oftmals nur auf diesbezüglichen Portalen präsent werden, selten aber in Jugendprojekten selbstbestimmt und selbstverständlich dabei sind.

Normalität für diese jungen Menschen herzustellen ist unser Auftrag in Sinne von Projektsteuerung und ein Anspruch, den alle Jugendlichen gleichermaßen haben. Den aber auch umzusetzen erfordert, dass wir diese Jugendlichen aktiv einbeziehen und dass wir Projekte so anlegen und betreiben, dass alle sichtbar sind und gleichwertig berücksichtigt werden. Im Endeffekt bedeutet das: Vielfalt stellt sich nicht her, indem wir sagen „alle können ja kommen, wenn sie mögen“. Vielfaltskonzepte müssen berücksichtigen, dass faktisch gesellschaftliche Hierarchien bestehen zwischen Jugendlichen, die ihnen Partizipationsmöglichkeiten zuerkennen oder verweigern und dass eine gleichwertige Beteiligung deshalb nicht durch gleiche Ansprache sondern eben gerade durch adäquate gruppenbezogene Ansprache hergestellt wird. Das ist, was wir im Projekt meinTestgelände als fachlichen und fachpolitischen Ansatz vertreten und arbeiten.

Wenn Sie wissen möchten, wie wir Jugendliche gefunden haben, lesen Sie hier