das #gelände 2015 war nach dem von 2014 ein weiteres jugendkulturelles Feuerwerk. Das hat uns dazu veranlasst, das Konzept aufzuschreiben.
Vom 6.-10. Juli 2015 fand zum zweiten Mal im Rahmen des Projekts meinTestgelände das fünftägige Jugendkulturevent #Gelände 2015 statt: 90 Jugendliche und Begleiter_innen fanden sich wieder in der Jugendbildungsstätte esw Berchum zusammen, um an professionell angeleiteten Workshops teilzunehmen: Es wurde gerappt, gesungen, Texte geschrieben, Theater gespielt, poetry Texte geschrieben, gesprayt, Parcours gelaufen, gefilmt, Videos gedreht, Interviews gemacht und Siebdruck hergestellt.
Web und real life: die Kombination macht´s
Warum das Ganze im Kontext von meinTestgelände, einem Online-Gendermagazin von und für Jugendliche? Was hat Jugendkultur mit den Zielen zu tun, die meinTestgelände verfolgt? Die Website ist ein Magazin, das Jugendlichen eine Öffentlichkeit bietet, ihre Themen mit ihren jugendgerechten Ausdrucksformen zu bearbeiten und zu präsentieren. Treffen der beteiligten Jugendlichen und Jugendgruppen ermöglichen den Austausch über diese Themen über soziale, kulturelle, religiöse und regionale Grenzen hinweg. Das Gendermagazin als Ort im World Wide Web führt im virtuellen Raum junge Menschen und ihre Themen zusammen, die sich persönlich sonst wohl nie kennengelernt hätten. Gerade aber diese Begegnungen sind wichtige Demokratiebildungsorte und ermöglichen gerade durch die „Grenzüberschreitungen“ Erfahrungen von Solidarität, Ähnlichkeiten und Respekt.
Jugendkultur als Zugang zu Jugendlichen
Thematischer Schwerpunkt von meinTestgelände ist das Thema Gender als Kategorie sozialkultureller Zuschreibungen und Abwertungen. Diese Perspektive macht bei Jugendlichen Diskussionsbedarf über weitere soziale Zuweisungsdimensionen auf wie z. B. Migration, Behinderung, Armut, Hautfarbe etc. Viele Jugendliche müssen Erfahrungen wie Beschimpfungen auf offener Straße und Negativzuschreibungen machen, die sie verunsichern, ob und wenn überhaupt welchen Platz ihnen die Gesellschaft lässt. Dies sind oft emotional belastete Themen, die nicht einfach zu besprechen sind. Als eine sehr gute Möglichkeit des Zugangs haben sich hier Jugendkulturen gezeigt. Sie ermöglichen nicht nur Darstellungsformen, mit denen Jugendliche sich auch im Netz zeigen können. Sie setzen an den jugendlichen Lebenswelten und an deren Interessenslagen an: die Jugendkultur kann in den Vordergrund rücken und helfen, sich mit auch schmerzhaften Themen zu beschäftigen.
Jugendkultur at it´s best
Hier fügen sich also Jugendkultur und Gender zusammen: mit den Mitteln jugendkultureller Äußerungen gelingt die Auseinandersetzung mit Gender und Gerechtigkeitsthemen für viele Jugendliche. Und #Gelände2015 ist ein Ort, an dem zwei wesentliche Partizipationskomponenten zusammen kommen: es treffen sich unterschiedlichste Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet. Über soziale und kulturelle Grenzen hinweg verbinden sie die jugendkulturellen Workshops, die Gelegenheit bieten, sich mit wesentlichen Themen auseinanderzusetzen. Und so war es auch in diesem Jahr: beim Song Writing und beim Rap wurden Lieder mit sozialkritischen Themen geschrieben und eingesungen (bereits veröffentlicht auf meinTestgelände der Rap von Cem: Fremde Gesichter http://www.meintestgelaende.de/2015/07/fremde-gesichter/). Im Zentrum von Graffiti standen Friedens- und Freiheitsbotschaften, im Theaterworkshop und beim Slam ging es um Gerechtigkeitsthemen und beim Videodreh wurden Jugendliche nach ihren Weltbilder und Werten befragt. Beim Parcours und Tanzen stand die Bewegung im Mittelpunkt – diesmal aber angeleitet durch eine Frau, was in diesen beiden jugendkulturellen Szenen eine große Ausnahme darstellt. Das Konzept ist damit wieder aufgegangen: obwohl die Themen ausschließlich von den Jugendlichen kamen, waren es doch wieder genau jene, die auch im Gendermagazin präsentiert werden. Unsere Erfahrung ist auch dieses Jahr wieder: es stimmt nicht, dass Jugendliche sich nicht mit sozialen Themen von Gerechtigkeit, Gemeinschaft und Gleichberechtigung beschäftigen (wollen), es ist eher eine Frage des Zugangs. Und das zieht sich durch alle Schichten und Kulturen, das ist eine wichtige Erkenntnis vom #Gelände2015. Die Annahme, dass es doch eher mittelschichts- und bildungsorientierte Jugendliche sind, die sich mit diesen Themen beschäftigen, können wir nicht bestätigen. Vielmehr scheinen folgende Faktoren wichtig zu sein: der jugendkulturelle Zugang, eine wertschätzende Atmosphäre, eine gute Begleitung und eine hohe Heterogenität. Viele Gerechtigkeitsthemen sind einfach präsent, wenn ihre Repräsentant_innen aufeinander treffen. Wenn dann jugendkulturelle Angebote die Auseinandersetzung befördern und ein fünftägiger Rahmen genug Raum und Zeit für ausgiebige Diskurse bietet, dann sind damit Voraussetzungen geschaffen, die Jugendlichen unterschiedlichster Lebenslagen ermöglichen sich mit sozialen Themen auseinander zu setzen und dabei am eigenen Leben/den eigenen Lebensumständen anzusetzen.
Der Unterschied macht´s: so verschieden die Mädchen* und Jungen*, so groß die Anerkennung
2015 war die Zusammensetzung der Gruppe noch größer und noch heterogener als in 2014: neben den Redaktionsgruppen nahm eine Gruppe männlicher Flüchtlinge teil. Die Jungen* waren alle erst ca. ein Jahr in Deutschland, geflüchtet aus Kriegsgebieten z. T. ohne Eltern. Hinzu kam eine Gruppe junger Türkinnen, die von einer Mutter begleitet wurde, zwei Gruppen aus überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen, eine Wohngruppe im Rahmen erzieherischer Hilfen und zwei Gruppen aus der Jugendarbeit sowie eine aus einer inklusiven Einrichtung. Wie im vergangenen Jahr wurde von den Jugendlichen die Vielfalt als sehr wertvoll wahrgenommen. Die Atmosphäre war durch großes gegenseitiges Interesse und Wertschätzung geprägt. Ein Blick in die Gesichter der Jugendlichen, als Dennis von der Redaktionsgruppe story teller seine Songs präsentierte, sagt darüber mehr aus als in Worte zu fassen wäre.
Auf den Anfang kommt es an
Wie gelingt es, eine so große Gruppe in Gleichwertigkeit in Kontakt zu bringen? 2014 waren die Mädchen* und Jungen* der Redaktionsgruppen von Anfang an die Stars, weil beim gemeinsamen Auftakt ihre Beiträge auf meinTestgelände gezeigt wurden. Das hat andere Jugendliche eingeschüchtert und es hat gedauert, bis die Gruppe in Gleichwertigkeit zusammengewachsen ist. In diesem Jahr wurden alle Gruppen im Vorfeld gebeten, Fotos von sich und ihrer Stadt einzusenden und Assoziationen zur Gleichberechtigung beizufügen. Aus diesem Material hat die Onlineredaktion einen Film geschnitten, in dem sich alle Gruppen in 30 Sekunden vorgestellt haben und sich im Anschluss immer kurz persönlich vorstellten. Das führte wie geplant dazu, dass alle alle schon mal gesehen haben und Niemand hervorgehoben wurde.
Nachhaltigkeit oder: was lange wirkt, wirkt lange nach
Auf dem #Gelände2015 hat die Videodrehgruppe alle fünf Tage durchgefilmt: Auftakt und Ergebnispräsentation, das Abschlusskonzert, alle Workshops und viele Einzelinterviews. Dadurch kann die Woche einerseits umfassend dokumentiert und ausgewertet werden, andererseits haben die Videodrehs dazu geführt, dass viele Gespräche von Jugendlichen untereinander zustande kamen, waren die Interviewer* doch auch Teilnehmer*. Die Interviews und alles andere Material werden in Auszügen im Gendermagazin präsentiert und steht damit wiederum Jugendlichen und Fachkräften zur Verfügung. Die Beiträge werden sowohl auf der Facebookseite als auch in der Fachgruppe von meinTestgelände angekündigt, die Jugendlichen und ihre Betreuer_innen erhalten direkt Nachricht. Damit werden sie auch längerfristig an der Projekt gebunden. Viele Jugendliche haben bereits angefragt, ob sie sich schon für #Gelände2016 anmelden können. Dass das nicht nur aus dem Moment der Euphorie heraus geschehen ist, sondern ernst gemeint ist, zeigt sich daran, dass auch in 2015 etwa die Hälfte der Teilnehmer_innen bereits im Vorjahr dabei war. #Gelände2015: ein Event, auf dem 90 Menschen durch ihr eigenes Tun erlebten, wie eine Gesellschaft aussehen kann, in der Menschen tatsächlich gleichwertig sind, miteinander achtsam und respektvoll umgehen und voneinander lernen – über Geschlechter-, ethnische, kulturelle, religiöse, regionale oder körperliche Grenzen hinaus.
Für das Team von meinTestgelände: Drin. Claudia Wallner im Juli 2015
Bewegte Bilder vom #gelände 2015 gibt´s auf meinTestgelände: https://www.meintestgelaende.de/2016/02/gelaende2015-die-doku/