Ein Gespräch mit der Gender-Expertin Drin. Claudia Wallner
Interview: Frank Burger
Frau Wallner, Sie sind eine der Initiator*innen und Koordinator*innen des Online-Gendermagazins meinTestgelände.de, wo Jugendliche Texte, Videos, Audiodateien und Fotos veröffentlichen können. Was für Beiträge bekommen Sie?
Im Moment haben wir ungefähr 900 Beiträge gesammelt. Schwerpunktmäßig geht es um Themen wie Geschlechter und Geschlechterrollen, aber wie breit das Spektrum ist, sieht man an den Tags am Rand der Seite, das reicht von Feminismus, Beruf und Beziehung über Hatespeech und Sexismus bis hin zu Religion, Migration und Liebe. Einzige inhaltliche Bedingung für einen Beitrag ist, dass er etwas mit Gender zu tun haben muss – ansonsten steht es den Jugendlichen frei, wozu sie schreiben, singen oder performen, wir nehmen alles, was niemanden beleidigt.
Wer veröffentlicht bei Ihnen?
Wir wollen mit der Plattform so viele Jugendliche wie möglich erreichen und ihnen das Angebot machen sich auszudrücken. Wir sind immer auf der Suche nach Menschen, die Lust darauf haben. Unsere Autor*innen sind so vielfältig wie ihre Beiträge, es sind Künstler*innen, Schüler*innen, junge Berufstätige, Studierende, ganz normale junge Menschen, die ihre Erfahrungen mit anderen teilen möchten. Die sich oft einfach von der Seele schreiben, wovon sie träumen, was sie sich wünschen, wovor sie Angst haben, was sie aufregt.
Viele Beiträge laufen auch unter dem Stichwort Körperbilder, mit Titeln wie „Schönheitswahn – warum tut man sich das an?“, „Beeinflussen Models unser Selbstwertgefühl?“ oder „Body Positivity: Problemzone Kopf“ – was steckt dahinter?
Eine Nichtübereinstimmung. Das Bild vom eigenen Körper und die Frage, ob die Beziehung dazu positiv oder negativ ist, hängt stark ab von den Rückmeldungen, die man bekommt, und von den gespiegelten Normalitätsbildern. Mädchen und Jungs genauso wollen zwar unique sein, einzigartig, gleichzeitig aber auch so wie die anderen, um soziale Anerkennung zu erhalten, durch die Peergroup, in der Schule, der Familie. Also checken sie ab: Gehöre ich dazu, bin ich groß, klein, hübsch, dünn oder stark genug für das, was ich an Bildern in den Medien sehe, und die sagen, wie jugendliche Körper sein sollen? Und aus diesen Vergleichen entstehen zwangsläufig Konflikte: Nie ist der Körper so, wie er sein soll. Das ist in den Beiträgen oft ein Riesenproblem.
Ein Problem, das jede Jugendgeneration kennt…
Natürlich ist das nicht neu. Früher hat eben die Werbung oder die Bravo vorgegeben, was gerade angesagt ist, und das Internet gibt es ja auch schon ein Weilchen. Neu ist heute, dass die Bilder viele Stunden am Tag auf die Jugendlichen einströmen, weil sie permanent online sind. Besonders wirkmächtig, was Bilder angeht, sind Instagram und TikTok, in diesen beiden Kanälen geht es nur ums Posen: Ich mache das schönste Bild von mir und, ganz wichtig, nutze die Filter um mich so zu verändern, dass ich perfekt erscheine. Und bei YouTube bringen Influencerinnen mit Millionen Followern Mädchen bei, sich so zu schminken, dass sie aussehen wie alle anderen. Der Normierungsdruck auf den Körper ist insgesamt größer geworden, und das hat Folgen.
Können Sie das konkretisieren?
Beispielsweise belegt die Jugendsexualitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dass das Alter, in dem Jugendliche in Deutschland ihren ersten sexuellen Kontakt haben, seit mindestens zehn Jahren steigt. Denn vor dem ersten Mal haben die meisten bereits sexuelle Darstellungen im Internet konsumiert, Pornos etwa. Sie haben gesehen, wie schön ein Körper dafür sein soll, was man machen und wollen muss. Nun fürchten sie, dass sie, ihr Körper und ihre Fähigkeiten da nicht mithalten können – also probieren sie es lieber erst gar nicht aus.
Gibt es noch andere belegbare Konsequenzen?
Es gibt aus den vergangenen Jahren viele Studien, die zeigen, wie stark die Normierung der Körperbilder die Körper-Selbstwahrnehmung stören oder kaputt machen kann, es gibt etwa einen klaren Zusammenhang zwischen den Bildern und Essstörungen bis hin zur Magersucht. Das betrifft übrigens bei weitem nicht nur Mädchen, sondern immer häufiger auch Jungs. Die Zeiten sind vorbei, als es hieß, es ist egal, wie ein Mann aussieht, solang er genug Geld nach Hause bringt. Jetzt müssen die Jungs eben ein Sixpack vorweisen können, um den gesellschaftlichen Vorstellungen zu entsprechen – während sie picklig zu Hause sitzen und suggeriert bekommen, dass für einen Waschbrettbauch drei Situps am Tag genügen.
Aber heutzutage spielt doch Diversität eine viel größere Rolle als noch vor wenigen Jahren, auch was die Vielfalt der Körper angeht!
Klar, es gibt große Kampagnen, dass Frauen sich nicht schämen sollen, wenn sie dick sind – aber das ist ein Tropfen in einem Meer der Normierung. Oder nehmen wir die aktuelle Staffel von Germany’s Next Topmodel: Die haben Vielfalt draufgeschrieben, weil sie gemerkt haben, dass das Konzept nicht ganz wie immer weitergehen kann und ein Markt da ist. Aber da sind dann Mädchen, denen wegen einer Krankheit ein Hautlappen am Oberschenkel entfernt wurde, der woanders wieder angewachsen ist – ansonsten sind sie genauso superschön und schlank wie alle anderen. Und die Operationsnarbe wird so verkauft: Wir akzeptieren dich, obwohl du eine riesige Narbe am Bein hast.
Arroganz gehört zu dem Sendeformat. Trotzdem ist ja eine Veränderung der Normen zu sehen.
Ich sehe das auch gar nicht nur negativ – ich erkenne den positiven Effekt an, den selbst diese schmale Diversifizierung haben kann. Es ist ein sehr kleiner Schritt in die richtige Richtung, hin zu größerer Akzeptanz von Körpervielfalt. Wir sehen ja auch in anderen Formaten und in der Werbung eine größere Diversität – das zeigt und trägt dazu bei, dass sich Normvorstellungen langsam ändern. Im Übrigen hat auch die Bildbearbeitung im Internet nicht nur die bereits geschilderten negativen Folgen: Man hat gleichzeitig auch nie dagewesene Möglichkeiten, sich so individuell darzustellen, wie man möchte – wenn man es denn will.
Welche Rolle spielt die Jugendmedienarbeit im Zusammenhang mit Körperbildern?
Es braucht unbedingt pädagogische Räume, damit sich die Jugendlichen auskotzen, austauschen oder geschützt präsentieren können. Das nimmt Druck raus. Gleichzeitig aber denke ich immer wieder: Lasst doch die jungen Leute auch mal in Ruhe. Mit allem sollen sie sich auseinandersetzen, ihrer Sexualität, ihrem Körper, ihrer Bildung, der Gesellschaft – das sind wohlmeinende Ratschläge von Erwachsenen. Aber man muss nicht für alles immer noch eine pädagogische Maßnahme oder einen Ratschlag haben. Die Jugend ist schließlich eine Phase, in der man gar nicht so viel hören will von Erwachsenen.
Das Interview wurde veröffentlicht in der Frühjahrsausgabe 2022 der „kju“ Magazin der LAG Kinder- und Jugendkultur Hamburg, S.7-9: https://www.kinderundjugendkultur.info/files/kju_heft_68.pdf