Männern ist nicht kalt, sie zittern nur vor Wut

Junge Männer in der Auseinandersetzung mit Männlichkeitsbildern auf meinTestgelände1

Die Autorin stellt Beispiele vor, wie sich junge Männer auf der Onlineplattform meinTestgelände mit Männlichkeitsbildern auseinandersetzen.

Das Gendermagazin meinTestgelaende.de ist eine Onlineplattform, auf der junge Menschen aller Geschlechter und aller Liebensweisen ihre Sichten auf die gesamte Palette von Themen präsentieren können, die mit Geschlecht in der Selbst- und der gesellschaftlichen Wahrnehmung, mit sexuellen Orientierungen, mit dem eigenen Wissen um Geschlecht und dem eigenen Bezug zu Geschlecht oder auch mit Körpergeschlecht zu tun haben. Die Beiträge der jungen Menschen umfassen damit eine große Bandbreite von Themen und präsentieren sich in vielfältigen jugendkulturellen Formen: Texte, Gedichte, Audios, Raps und Songs, Theaterstücke, Bilder und Zeichnungen, kurz: alles, was online gestellt werden kann. Es gibt keine Vorgaben für die jungen Autor*innen und Redaktionen, außer, dass ihre Beiträge sich mit Geschlechterthemen beschäftigen müssen und dass sie niemanden beleidigen oder abwerten. Ob junge Menschen sich positiv oder negativ äußern, bleibt ihnen auch überlassen: Beiträge, die beispielsweise das Mannsein feiern, sind ebenso willkommen wie solche, die kritische Blicke auf Geschlecht werfen.

Die Onlineredaktion von meinTestgelände steuert die Inhalte des Gendermagazins insoweit, als sie den Redaktionsplan macht und damit festlegt, welche Beiträge wann und in welcher Reihenfolge veröffentlicht werden. Dabei wird weniger auf die Themen und mehr darauf geachtet, dass alle Geschlechter möglichst gleichmäßig beteiligt werden. Beiträge werden immer entgegengenommen und für die Jahresplanung der Website gesammelt, um dann nach und nach veröffentlicht zu werden. Alle jungen Menschen erhalten für ihre Beiträge ein Honorar. Auf Wunsch werden sie technisch ­– durch die Ausleihe von Kameras und Mikros oder durch Einweisungen in Schnittprogramme für Videos ­– oder inhaltlich ­– wenn sie zu ihren Beiträgen vor deren Veröffentlichung Feedback haben möchten ­– unterstützt. Es gibt auch das Angebot, die Texte auf Rechtschreibung zu prüfen. Das nehmen einige junge Menschen gerne an, andere möchten ihre Texte so veröffentlicht wissen, wie sie sie geschrieben haben, das entscheiden sie alleine. meinTestgelände ist damit ein Gendermagazin für junge Menschen, das größtmögliche Partizipation gewährleistet, und ein Portal, auf dem junge Menschen sich so und mit den Themen äußern können, wie sie es wollen. Natürlich gibt es dabei auch Begrenzungen: junge Menschen, die keinen Internetzugang haben, die des Schreibens nicht (ausreichend) mächtig sind und niemanden zum Diktieren haben, die nicht über die technische Ausstattung verfügen, um Audios oder Videos aufzunehmen, oder die von der meinTestgelände-Redaktion einfach nicht erreicht werden etc. Das Partizipationskonzept, so viel kann nach fast 8 Jahren Projektlaufzeit gesagt werden, hat auch Jungen dazu eingeladen, sich zu den für sie oftmals sperrigen oder schambesetzten Geschlechterthemen zu äußern.

Junge Männer und Geschlechterthemen
Männer*2 und sich äußern zu Geschlechterfragen? Aus der Jungen*arbeit ist bekannt, dass es männlichen Jugendlichen oftmals schwerfällt, über Männlichkeiten, Geschlechterbilder, die eigene sexuelle Orientierung oder Geschlechterverhältnisse zu sprechen, und dass sie dazu sichere Räume brauchen. Gleichzeitig sind Männlichkeitsthemen für viele Jungen* und junge Männer wichtig, weil sie oftmals mit Druck, Überforderungen, Einschränkungen und zu vielen Regeln und Erwartungen einhergehen, was das Leben als Mann schwer erscheinen lässt oder schwer macht. Männlichkeitserwartungen bewegen sich zwischen starren Anforderungen von Stärke und Durchsetzungsvermögen und fluiden Vorstellungen vom sensiblen, zugewandten Mann, der trotzdem ein harter Kerl ist, der sich Familienzeit wünscht und Karriere machen will, der die Zügel in der Hand hält und gleichzeitig gleichberechtigt mit anderen agiert. Junge Männer* heute haben sich genau mit diesen Phänomenen und Themen auseinanderzusetzen: Wann bin ich Mann? Wie muss ich dafür sein? Was darf ich nicht sein, um mein Mannsein nicht zu gefährden? Was mag ich am Mann*sein, was bedrückt mich? Verschärft werden die Konflikte oftmals noch durch die Verschränkung von Männlichkeitsanforderungen mit weiteren sozialen Platzanweisern wie Herkunft, Hautfarbe oder Klasse. Gerade muslimische oder als »aus dem arabischen Raum kommend« gelesene junge Männer sehen sich mit einer Vielzahl negativer Zuschreibungen bezüglich ihres Männerbildes konfrontiert: patriarchal und frauenverachtend sei es und gehöre weder in die heutige Zeit noch in »dieses Land«. Dass die meisten dieser Jungen*/jungen Männer in »diesem Land« geboren sind, ebenso wie ihre Eltern, wird bei dieser Strategie des Othering bewusst ausgeblendet. Aber auch Jungen, die in Armut aufwachsen, sind mit spezifischen Problemen in Kombination mit Männlichkeitsbildern konfrontiert, sehen diese doch »eine Familie ernährende Erwerbsarbeit« als nahezu konstituierend für Männlichkeit. Was aber, wenn du als in Armut lebender Junge* von den Strukturen bildungsfern gehalten wirst und dadurch niemals Zugang zu solcher Erwerbsarbeit erreichen kannst? Auf meinTestgelände nehmen junge Männer zu all diesen Facetten sehr offen Stellung.

Eine Website als geschützter Raum
Nun ist das Internet der öffentlichste Raum, der vorstellbar ist. Was also motiviert junge Männer, sich auf meinTestgelände trotzdem so offen zu Männlichkeitsthemen zu positionieren? Eine Website, insbesondere, wenn sie sich nach und nach mit verschiedensten jungen Menschen und ihren Beiträgen füllt und sich diese auch noch regelmäßig treffen können, bietet das Gefühl einer Heimat: Mensch trifft Gleichgesinnte und liest ähnliche Erfahrungen, das schafft Vertrauen. Aber auch die Möglichkeit, anonym zu schreiben und dass Kommentarfunktionen grundsätzlich abgeschaltet sind, schützt junge Menschen und bietet damit Raum, sich zu äußern. Viele junge Menschen aber wollen sich auch ganz bewusst positionieren und ihren Beitrag zu Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung liefern.

Was Jungen*/junge Männer zu Männlichkeiten zu sagen haben
In der Gesamtschau der Beiträge von jungen Männern zu Männlichkeitsthemen kann gesagt werden, dass in erster Linie viele und große Probleme beschrieben werden, dass Jungen sich aber genau damit auseinandersetzen und für sich nach Wegen hin zu einer positiven und vor allem selbstbestimmten Männlichkeit suchen. »Warum soll ich Männerkleidung tragen? Ich bin doch schon einer«, fragt beispielsweise Dennis in einem seiner Texte, in denen es immer wieder darum geht, dass er selbst bestimmen will, wie er als Mann ist. Er durchbricht damit die Anforderung eines einheitlichen Bildes von innen und außen in Bezug auf Männlichkeit. Dennis sieht sich als Mann, der halt gerne auch mal Frauenkleider trägt, und er findet nicht, dass das seiner Männlichkeit abträglich ist.

Jungen* als Autoren setzen sich genau mit den Themen kritisch und in Abgrenzung auseinander, die ihnen von der Gesellschaft, Familie und den Medien als negativ zugeschrieben und angelastet werden. Sie wollen nicht herrschend oder gewalttätig sein und leiden darunter, dass die Gesellschaft sie trotzdem so sieht und sie kaum eine Möglichkeit haben, ihre eigenen Vorstellungen von Männlichkeit zu leben, und damit auch gesehen und anerkannt zu werden.

Emre beispielsweise stellt sich in seinem Poetry-Slam-Text gegen die Erwartungen, wie er als Mann zu sein hat:

Heute, ja, da bin ich ein Mann und weiß es besser.
Wenn ich heute weine, dann steht vor mir nicht jemand mit einem Messer auf seiner Zunge – wie damals als Junge, mich wieder in die Schranken zu weisen, die alten Normen und Werte hochzupreisen denn:Genau so kannte man es aus alten Zeiten. (…) Ich stelle mich diesem Irrsinn entgegen, bis ich eines Tages siege.

Insbesondere muslimische Jungen tragen an diesen Zuschreibungen schwer, weil sie ihnen härter begegnen. Ständig sind sie mit Vorwürfen von »Machotum« und Frauenunterdrückung konfrontiert, egal ob sie solche Zuschreibungen selbst hassen oder darunter leiden. Gerade deshalb nutzen sie Räume wie meinTestgelände, um endlich mal mit dem gehört zu werden, was sie denken und leben, und um den ewig gleichen Anwürfen etwas entgegenzusetzen, wie die folgenden 2 Beispiele aus Texten und Videos von Memo aufzeigen:

Wir können selbst entscheiden,
ob wir dieses Schicksal wollen meiden,
Männlichkeit, der Begriff liegt in unserer Hand,
durchbrechen können wir diese von Schmerz begleitete Wand.
Gleichberechtigung wird uns Stärke verleihen,
sie wird uns von der Kette der Gewalt entzweien.
Es ist wichtig, dass wir unsere Wege gehen, und das selbstbestimmt,
nur so ernten wir Zufriedenheit und verhindern, dass dieses Unrecht wieder gewinnt.

Was ist jetzt männlich und können wir das überhaupt klar sagen?
Können wir uns überhaupt trauen, so einen Versuch zu wagen?
Ich bestimme meine Männlichkeit selbst, völlig egal, was du davon hältst.
Es bleibt jedem eigen, definieren sollte man nur nicht über Kultur oder Rassen,
versuche auch, niemanden wegen seinen Interessen zu hassen.
Eine Erkenntnis habe ich dennoch erlangt,
die von Mann und Frau im Endeffekt dasselbe verlangt.
Typisch männlich – typisch weiblich kommen aus der Gesellschaft heraus,
es ist kein Produkt von Mutter Natur.

Auch Memo setzt sich mit den rigiden und als unveränderbar deklarierten Geschlechtervorstellungen in seinem Umfeld auseinander und sucht nach positiven Wegen, männlich zu sein und sich gegen Erwartungen und Zuschreibungen zu positionieren, die er nicht ertragen und schon gar nicht leben kann.

Ecxes, ein junger Rapper, beschreibt Männlichkeit so:

Du bist ein Mann, wenn jedes deiner Worte aus´m Herzen spricht.
Ein Mann, wenn du auch mal zugibst, dass du traurig bist, (…)
wenn du ein Herz hast und zu deinen Gefühlen stehst.
Stark ist nicht die Faust, sondern der Wille, wenn du arbeiten gehst. (…)

Ecxes rappt in seinen Songs über sein Leben im Heim, seine von Aggression geprägte Jugend, seine Verzweiflung und darüber, wie ihm erst als Erwachsener so langsam dämmert, dass er mit den Männlichkeitsvorstellungen von Härte und Gewalt nur sich selbst zerstört und sie ihm viele Wege beispielsweise ins Berufsleben erschweren – und das obwohl er auch sieht, dass Härte und Gewalt ihm durch seine schwierige Lebenssituation geholfen haben, so, wie er es konnte. Jetzt versucht er, mit den alten Männlichkeitsvorstellungen zu brechen und Mannsein für sich neu zu definieren.

Alexandros, in einem Interview nach Männlichkeit gefragt, versteht sehr gut, dass Männlichkeit ein Konstrukt ist, dem man sich aber fügen muss, wenn man dazugehören will:

Es ist doch so: Sobald wir in die Schule gehen, sind wir eine andere Person. Wir verstellen uns einfach, damit wir in der Gesellschaft gut ankommen. Man will ja dazugehören und dafür muss man in ein bestimmtes Raster passen und auch Markenklamotten tragen. Das fängt Ende der Grundschule an. Es gibt auch die Angst, dass man ein Außenseiter ist oder gemobbt wird, wenn man nicht in die Gesellschaft passt.

Es mangelt an positiven Männlichkeitsbildern
Jungen und junge Männer* können sehr gut beschreiben, welche Männlichkeiten kritisch zu bewerten oder abzulehnen sind: Übergriffigkeit, aggressiv sein, zu viel Raum einnehmen, andere domestizieren, Gewalt, sich nach vorne spielen – die Liste ist lang und sehr präsent. Viel weniger präsent ist, was eine angenehme, positive Männlichkeit ausmacht, und es fällt schwerer, dafür Worte zu finden. In den Beiträgen wird dies oft als »Nicht-Botschaft« – bezogen auf die erstgenannten negativen Zuschreibungen – formuliert, dagegen gibt es wenig positive Bezüge, außer dass man es selbst bestimmen möchte, was man unter Männlichkeit versteht. Eine Onlineplattform wie meinTestgelände ist ein großer Schritt auf dem Weg, über Männlichkeit zu sprechen, die Probleme und den Druck öffentlich zu machen und sich auf die Suche hin zu einem positiven Männlichkeitsbild zu begeben.

ANMERKUNGEN

1 meinTestgelände ist ein Kooperationsprojekt der BAG Jungen*arbeit e.V. und der BAG Mädchen*politik e.V., www.meintestgelaende.de [9.3.21]
2 Geschlechterbezogene Wörter werden in diesem Text mal mit und mal ohne * (Asterisk) geschrieben, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass damit immer diejenigen gemeint sind, die sich diesem Geschlecht selbst zuordnen, und nicht nur diejenigen, bei denen körperliche Merkmale und Geschlechtszuweisung/Selbstbild übereinstimmen. Da sich aber beispielsweise manche Trans*-Personen durch den Asterisk wiederum aus der Geschlechtsgruppe ausgegrenzt fühlen (»Ich bin ein Mann und kein Mann*«), wird in diesem Beitrag mal der Asterisk verwendet und mal nicht.

Dr​in​. Claudia Wallner

Veröffentlicht in: TELEVIZION 34/2021/1, 37-39

Bestellmöglichkeit des Hefts: ​ https://www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/publikation/televizion/34_2021_1.htm