meinTestgelände im Interview zum Dieter Baacke Preis 2020

meinTestgelände verbindet Medienkompetenz mit Geschlechterfragen und Partizipation – eine sehr seltene und wertvolle Kombination, die ein besonderes Konzept erfordert. Interview mit Drin. Claudia Wallner vom Gewinnerprojekt vom Dieter Baacke Preis 2020

1. Herausragendes und Spezielles

Welches sind die Besonderheiten Ihres Projekts?

  • Komposition aus Medienpädagogik und Geschlechterthemen
  • Umfassende Partizipation: die jungen Menschen reichen Beiträge ein, wir stellen sie online – keine Eingriffe, keine Überarbeitungen, keine Themenvorgaben; selbst Schreibkorrekturen nur auf Bitte der Autor*innen
  • Peer to peer Konzept
  • Transfer in pädagogische Fachwelten durch eine dem Projekt zugehörige und vom Projekt betriebene Fachgruppe auf Facebook https://www.facebook.com/groups/geschlechterpaedagogik und durch die Social media Verbreitung der Beiträge auf Facebook, Instagram und YouTube
  • Beteiligung unterschiedlichster Geschlechter: neben jungen cis-Frauen und jungen cis-Männern beteiligen sich auch trans* und inter* junge Menschen

2. Ziele und Methoden

Welche medienpädagogischen Ziele wurden mit welchen Methoden verfolgt?

  • Jugendlichen und jungen Menschen eine geschützte und gleichzeitig öffentliche Plattform zur Verfügung stellen; es gibt keine Kommentarfunktion auf der Website und auch nicht auf dem YouTubekanal um die jungen Menschen vor sexistischen und rassistischen Anfeindungen (Kommentare) zu schützen
  • Medienkompetenz fördern: in Seminaren und Einzelberatung unterstützt meinTestgelände Autor*innen und Redaktionen darin, wie Filme gedreht und geschnitten werden können oder wie mensch sich in der Präsentation der eigenen Texte vor der Kamera bewegt

3. Medienkompetenz und Medienbildung durch Praxisprojekte

a) Welche Vorkenntnisse hatten die Teilnehmer*innen?

Auf meinTestgelände.de veröffentlichen zurzeit ca. 30 Redaktionsgruppen und 60 Autor*innen. Die Vorkenntnisse sind so vielfältig wie die Teilnehmer*innen. Viele junge Menschen sind erfahren darin, sich im Netz zu bewegen und zu zeigen, andere haben weder mit Medien wie Video noch mit Social Media viele Erfahrungen

b) Welche Bereiche der Medienkompetenz fördert das Projekt?

  • Die beteiligten jungen Menschen können sich ein Bild über die Seite machen, da sie seit 2013 online ist. Dadurch wissen sie, wo sie veröffentlichen und können entscheiden, ob sie öffentlich gehen wollen mit ihren Meinungen und Sichtweisen
  • Es gibt Möglichkeiten des Schutzes – auch im Netz (z.B. indem die Beteiligten weder direkt angeschrieben werden können noch Kommentarfunktionen offen sind)
  • Produktion von Beiträgen: junge Menschen erwerben Kompetenzen, selbst Filme zu drehen und zu schneiden oder Texte zu entwerfen und zu präsentieren
  • Alle Autor*innen können jederzeit entscheiden, wie lange ihre Beiträge auf meinTestgelände online bleiben
  • Gemeinsame Produktionen ermöglichen, unterschiedliche Kompetenzen zu entwickeln und aufeinander abzustimmen
  • Die Präsentation von Beiträgen auf Fachveranstaltungen oder Jugendkulturevents fördern das Selbstbewusstsein und schafft Möglichkeiten, eigene Standpunkte zu vertreten

c) Welche Kenntnisse haben die Teilnehmenden erworben?

Junge Menschen erwerben durch die Beteiligung auf meinTestgelände sowohl Medienkompetenzen (Komposition, Dreh und Schneiden von Videos oder Songs/Raps, texten) als auch Gelegenheit, sich mit geschlechter(politischen) Themen auseinander zu setzen und sich damit öffentlich zu zeigen und die eigenen Standpunkte zu vertreten.

4. Probleme und Grenzen

Gab es strukturelle oder pädagogische Grenzen und Stolpersteine bei der Vorbereitung oder Durchführung des Projekts? Wie wurden diese Probleme bewältigt?

Zu Beginn war es schwierig, Redaktionen und Autor*innen zu finden, die auf meinTestgelände veröffentlichen wollten, da die Seite noch weitgehend unbespielt war. Je mehr Beiträge auf der Seite veröffentlicht wurden, umso mehr junge Menschen wollten/wollen sich beteiligen. Heute melden sich viele junge Menschen selbst beim Projekt und bieten ihre Beiträge an.

5. Technik

Welche technischen Voraussetzungen müssen für Projekte wie Ihres gegeben sein?

Für das Betreiben eines Webportals braucht es technisches Equipement im Projekt: Laptops, Kameras, Aufnahmegeräte, Lautsprecher, Mikrofone – auch zum Ausleihen an Autor*innen und Redaktionen, darüber hinaus Lizenzen für Programme, die bspw. für die Produktion von Videos notwendig sind. Die beteiligten jungen Menschen verfügen oftmals selbst über das nötige technische Zubehör. Um aber keine Jugendlichen auszuschließen, weil sie über die Geräte/Lizenzen nicht verfügen, müssen diese im Projekt vorgehalten werden.

Außerdem braucht es fortlaufend Gelder für Lizenzen, die Websitebetreibung und –betreuung …

6. Tipps für die Praxis

Welche Ratschläge oder Empfehlungen können Sie Interessierten geben, die ähnliche medienpädagogische Projekte durchführen möchten?

Vertrauen Sie auf die vielfältigen (Medien)Kompetenzen junger Menschen; oftmals scheuen sich Fachkräfte, Medienprojekte in Angriff zu nehmen, weil sie sich selbst nicht ausreichend kompetent fühlen. Das braucht es nicht, junge Menschen bringen viele dieser Kompetenzen mit und können sie auch anderen vermitteln

7. Motivation

a) War es notwendig, die Zielgruppe für das Projekt zu motivieren? Wenn ja, warum und wie?

Siehe oben: solange die Website im Aufbau war und noch nicht viele jugendliche Beiträge online waren, mussten Jugendliche aus dem Projekt heraus gesucht und eingeworben werden. Seit die Seite für sich spricht sind junge Menschen von sich aus motoviert, Teil des Projekts zu sein/werden

b) Was hat den Teilnehmenden besonders viel Spaß gemacht?

Selbstempowerment und Selbstbestimmung, sichtbar zu werden, ernst genommen zu werden, sich als Künstler*innen, Autor*innen, Musiker*innen, Schauspieler*innen, Aktivist*innen zu erleben

c) Und was fanden Sie selbst besonders motivierend?

Zu sehen, was alles in jungen Menschen „steckt“ und wie motoviert viele sind, sich für Gerechtigkeitsfragen und gegen Rassismus und Sexismus einzusetzen und öffentlich zu positionieren; den Mut der jungen Menschen, sich im Netz einer großen Öffentlichkeit zu stellen mit eigenen Standpunkten, von denen sie wissen, dass sie durchaus kontroverse Reaktionen hervorrufen können

8. Nachhaltigkeit und Wirkung des Projekts

a) Welche Veränderungen haben sich durch die Medienprojekte in der Zielgruppe, in Ihrer Einrichtung oder den beteiligten Einrichtungen, im Stadtteil etc. ergeben?

Viele Fachkräfte bundesweit und in Österreich und der Schweiz arbeiten inzwischen mit den Beiträgen von meinTestgelände: teilweise in der Fort- und Weiterbildung zu Geschlechterthemen oder Medienpädagogik, teils in der geschlechterpädagogischen Arbeit mit jungen Menschen

Beteiligte Autor*innen und Redaktionen empowern sich und andere junge Menschen

Mit der Website meinTestgelände wird kontinuierlich eine Plattform geschaffen, die zeigt, was junge Menschen in Geschlechterfragen bewegt und welche Themen und Probleme sie beschäftigen. Dies sind auch für Fachkräfte und Politik relevante Inhalte.

b) Läuft das Projekt noch und wenn ja, wie lange? Oder gibt es Anschlussprojekte?

Das Projekt ist bis 6/2022 bewilligt, eine Verlängerung wird angestrebt und im Dossier „Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer“ des BMFSFJ (2020) wird eine Verstetigung empfohlen.

9. Themen

Welche Themen (Inhalte) waren im Projekt für Ihre Zielgruppe besonders spannend?

Sowohl medienbezogene als auch geschlechterthematische: manche haben sich Kompetenzen angeeignet, Filme zu konzipieren, selbst zu drehen und zu schneiden, Songs aufzunehmen und abzumischen, Texte zu komponieren, andere entwickeln sich im Laufe der Beteiligung in Bezug auf Gleichstellungsthemen weiter, wobei die Themenpalette sehr vielfältig ist.

10. Trends und Interessen der Zielgruppe

a) Welche neuen Medientrends, medialen Interessen oder Aspekte der Medienkultur sind in ihrer Zielgruppe in jüngster Zeit besonders aktuell?

meinTestgelände ist eine Website mit klarer thematischer Ausrichtung und den Möglichkeiten der Präsentation, die ein Onlineportal hat. Insofern gibt es wenig Trendbewegungsmöglichkeiten. Veröffentlicht werden können Texte, Audios und Videos, alle müssen sich im Themenbereich von Geschlechterfragen bewegen. Die Themen zeigen eine große Spannbreite auf, Trends in dem Sinne erkennen wir aber nicht.

b) Wie geht man in Ihrer Einrichtung/wie gehen Sie evtl. darauf ein?

Siehe a)

11. Perspektiven

Welche Chancen sehen Sie vor dem Hintergrund Ihres Erfolgs

a) für die medienpädagogische Projektarbeit an Ihrer Einrichtung?

Das Projekt ist hoch erfolgreich und hat sich im Laufe seiner 7jährigen Laufzeit einen Namen gemacht sowohl in der geschlechter- als auch in der medienpädagogischen Landschaft der Arbeit mit jungen Menschen. Im Dossier „Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer in Deutschland“ – in Auftrag gegeben vom BMFSFJ, erschienen 2020 – wird die Verstetigung von meinTestgelände als politisches Umsetzungsziel empfohlen. Das Projekt wird vom Träger BAG Jungen*arbeit und seiner Kooperationspartner*in BAG Mädchen*politik umfangreich unterstützt. Insofern betrachten wir unsere Möglichkeiten für Perspektiven des Projekts über die aktuelle Förderphase hinaus positiv.

b) für medienpädagogische Projektarbeit generell?

U. a. die jährliche JIM Studie (aktuell https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/2019/ und Sonderstudie https://www.mpfs.de/studien/jim-studie/jimplus-2020/) zeigt die steigende Bedeutung der Internetnutzung für Jugendliche auf verschiedensten Ebenen: als Raum der Selbstpräsentation, des Lernens, der Freizeitgestaltung, der politischen Auseinandersetzung, der Freundschaftsgestaltung … Insofern sind Medienprojekte  an dem Ort und in dem Bereich angesiedelt, der für junge Menschen große Bedeutung hat. Medienpädagogische Projektarbeit sollte verstärkt werden in Bildungs- und Freizeitangeboten.

12. Struktur und Rahmen

Welche Rahmenbedingungen für Projektarbeit sind wünschenswert? Wie kann man diese schaffen?

Projektarbeit braucht gehaltene Strukturen; Wenn sogenannte „kleine Träger“ selbst keine Strukturförderung erhalten, ist Projektarbeit erschwert.

13. Feedback

Gab es abschließend seitens der Zielgruppe Verbesserungsvorschläge, weiterführende Ideen bezüglich Ihres Projektes?

Wir sind noch nicht am Schluss …

14. Bewältigung der Pandemie-Krise

a) Wie haben sich die Kontaktbeschränkungen, wie hat sich der Teil-Lockdown auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Wir sind ein Onlineprojekt gekoppelt mit Präsenzseminaren für beteiligte Jugendliche und für Fachkräfte. Die Lockdown-Regeln haben dazu geführt, dass wir unsere Seminare und Treffen fast vollständig nicht als Präsenzveranstaltungen durchführen konnten. Insbesondere das jährlich stattfindende 5tägige Jugendkulturevent #gelände wurde ins Netz verlagert und fand als online#gelände statt. Der Lockdown hatte darüber hinaus auch Auswirkungen auf die Website meinTestgelände: viele junge Menschen/unsere Autor*innen waren zu Hause, verloren ihre (Neben)jobs, hatten viel Freizeit und die Aufgabe zu bewältigen, sich mit der Pandemie zu beschäftigen. Wir haben im März einen Aufruf an unsere Redaktionen und Autor*innen gestartet, uns Beiträge einzureichen und haben ein erhebliches Echo darauf bekommen. Viele eingereichte Beiträge beschäftigten sich mit Covid 19 https://www.meintestgelaende.de/schlagwort/covid19/, viele auch mit Hatespeech im Netz.

b) Mit welchen wesentlichen Änderungen haben Sie es in Ihrer Projektarbeit evtl. zu tun? Welche Lösungen haben sich bewährt?

Wir haben keine wesentlichen Änderungen bis auf die Umstellung von Präsenzveranstaltungen auf Online, sofern dies konzeptionell sinnvoll erscheint.

BAG Jungen*arbeit in Kooperation mit BAG Mädchen*politik e.V.
meinTestgelände. Begegnung ermöglichen – Vorurteile abbauen – Gestaltung fördern. Gleichstellungsorientierter Transfer und jugendpolitische Partizipation
(Kategorie F: Sonderpreis 2020 „Speak out & Connect“)