Anstatt in die eigene Kindheit zurückzublicken, geht es bei der Interview-Methode um die Kindheit einer anderen, älteren Person. Diese Methode lässt sich mit einer Gruppe durchführen, die sich regelmäßig trifft, sodass Zeit ist für die Recherche der jeweiligen Interviewperson und für die Vorbereitung der Gespräche.
Vorbereitung
Die Jugendlichen bekommen die Aufgabe, eine Person aus ihrem Familien- oder Bekanntenkreis um ein Gespräch zu bitten und holen sich dabei auch die Erlaubnis ein, es aufzuzeichnen (z. B. Audio-Aufzeichnung mit dem Smartphone). Die Person sollte 60+ Jahre alt sein, Freude am Erzählen haben, bereit sein, von sich selbst und aus ihrem eigenen Leben zu erzählen, und sie sollte sich mindestens eine Stunde Zeit nehmen für das Treffen.
Zur Einstimmung kann gemeinsam der mT-Text von Sarah Wiedenhöft gelesen werden. Sie schreibt über ihren Opa: “ Ich frage mich, ob Er gern ein Mann war, in dieser Zeit des Krieges. Oder ob er vielleicht lieber die Socken der Geschwister gestopft, für alle gekocht und mit den kleinen Kindern gebastelt hätte. Ich weiß, dass er das gern mochte, aber die Wahl hatte er nicht. Oder ob das überhaupt eine Rolle gespielt hat.“ https://www.meintestgelaende.de/2016/02/wenn-ich-an-meinen-opa-denke/
Dann erstellen die Jugendlichen eine Liste von Fragen, die sie im Gespräch stellen wollen. Die Fragen werden im Vorfeld gemeinsam diskutiert, die eigene Liste durch Ideen aus der Gruppe ergänzt. Es ist gut, zu viele Fragen zu haben; das Ziel ist, am Ende Fragen übrig zu haben, die gar nicht gestellt werden mussten, weil der*die Gesprächspartner*in auch ohne Fragen gerne weitererzählt hat.
Interview auf Distanz
Falls die Person in einer anderen Stadt lebt oder ein persönliches Treffen aus anderen Gründen nicht möglich ist, kann das Interview auch in einem Video-Meeting geführt und aufgezeichnet werden. Die gängigen Video-Plattformen wie Zoom haben eine Record-Funktion. Falls die Interviews weiterverarbeitet und z.B. geschnitten werden sollen (Radio-Workshop, Portraits…) ist denkbar, sie als Nur-Audio-Gespräch zu führen (Als Tool bietet sich Studiolink an: https://studio-link.de/, oder Audacity, mit dem auch Audioschnitt möglich ist: https://www.audacity.de/)
Mögliche Fragen
Es ist wichtig, das Thema ‚Geschlechterrollen‘ explizit schon in der Vorbereitung und dann auch in den Fragen anzusprechen. Sonst erhält man als Antwort zwar viele wunderbare Geschichten aus der Kindheit und Jugend, die aber ohne Bezug auf die Geschlechterthematik erzählt werden.
- Kannst du mir aus Deiner Kindheit von ein paar Situationen erzählen, wie das damals war als Junge oder als Mädchen? Wann genau war das?
- Womit hast Du gerne gespielt? Welche Wünsche hattest Du z.B. zum Geburtstag?
- Hast du gemerkt, dass deine Geschwister anders aufgewachsen sind?
- Haben sie andere Spiele gespielt?
- Hatten sie andere Interessen?
- Welche Familienmitglieder wurden wegen ihres Geschlechts anders behandelt?
- Gab es Situationen, in denen dir Erwachsene gesagt haben, wie ein richtiger Junge bzw. ein richtiges Mädchen zu sein hat?
- Gab es Dinge, die du nicht machen konntest oder durftest als Mädchen*Junge?
- Was hat sich da inzwischen verändert? Waren damals Dinge dabei, die heute alle dürfen?
- Wenn du deine eigene Kindheit mit meiner vergleichst, was fallen dir da für Unterschiede ein? Gibt es auch Gemeinsamkeiten?
- Haben Kinder heute oder hattet ihr damals mehr Freiheiten in Bezug auf Geschlechterrollen?
Hinweise zur Interviewführung
Planen Sie genug Zeit mit den Jugendlichen ein, um in die Methoden der Gesprächsführung einzuleiten, auf den Unterschied offener und geschlossener Fragen hinzuweisen und über die Rolle des Gesprächsortes zu sprechen. Die Methode Interview kann erstaunliche Ergebnisse hervorbringen, wenn den Jugendlichen bewusst ist, dass persönliche Themen im Gespräch nur dann aufkommen, wenn Zeit und Ruhe ist, man nicht gestört wird … und wenn sie auch selbst etwas von sich preis geben, nicht nur Fragen stellen, sondern tatsächlich selbst als Gesprächspartner*in anwesend und beteiligt sind.
Wenn alle Jugendlichen ähnliche Fragen in ihre Gespräche mitnehmen, dann lassen sich die Antworten einander gut gegenüberstellen und vergleichen: Sind die Antworten so unterschiedlich wie die Menschen selbst, oder gibt es doch Gemeinsamkeiten? Haben diese etwas mit dem Alter, Geschlecht oder der Herkunft der interviewten Personen zu tun?
Abschlusspräsentation
- Schriftlich
Um die Interviews und Gespräche der Gruppe zugänglich zu machen, können einzelne, besonders eindrückliche Antworten verschriftlicht werden. Das ermöglicht es, die unterschiedlichen Aussagen auf Pinnwänden zueinander in Beziehung zu setzen, zu clustern und gewissermaßen ‚Gespräche‘ zu collagieren. Sie können so nach Themen geordnet werden und dienen dann als Grundlage für die weiterführende Diskussion.
- Als podcast
Wenn mehr Zeit und das technische Equipment zur Verfügung steht, können die besten Interview-Stellen als einzelne O-Töne isoliert und den Anderen zugänglich gemacht werden. (Aufnahmen aus dem Smartphone können in einem Audio-Editor z.B. Lexis weiterbearbeitet oder alternativ auf einem Laptop z.B. mit Audacity geschnitten werden und evtl. mit den anderen Best-of-Ausschnitten zu einer Audio-Collage zusammengeführt werden). Dann ist nicht nur der Inhalt zu lesen, sondern auch zu hören und mitzuerleben, wie die Person spricht und ihre Geschichte erzählt. Denn ein nachdenkliches Zögern, die Freude oder Traurigkeit an der eigenen Erinnerung lädt viel mehr als die Verschriftlichung dazu ein, sich auf die Person einzulassen. (Tipp: lieber drei oder vier Ausschnitte wählen, dafür keinen von mehr als 2 Minuten Länge).
Lexis Audio-Editor
- für Android: https://play.google.com/store/apps/details?id=com.pamsys.lexisaudioeditor&hl=en
- für IOS: https://apps.apple.com/us/app/lexis-audio-editor/id1259401721
Übersicht über Videoschnitt- und Audioschnitt-Programme:
https://mzlw.de/videoschnitt-und-audioschnitt-programme-und-apps/