Lebenswirklichkeiten transidenter Jugendlicher

Trans* Jugendliche erleben oftmals Ausgrenzungen bis hin zur Aberkennung ihres Geschlechter-Ichs, die Selbstwert und Selbstgewissheit grundsätzlich angreifen können.

Insofern nicht anerkannt zu werden in dem, wer mensch ist, kann zu umfassenden und grundsätzlichen Problemen führen und geht damit weit über „in seinem_ihrem Geschlecht nicht anerkannt werden“ hinaus.

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Was es bedeutet, nicht dazuzugehören 

Sicherheit, Orientierung und Dazugehören als Grundbedürfnisse: In der Psychologie gibt es verschiedene Modelle menschlicher Bedürfnisse. In einer Zusammenschau hat Maren Lammers, Schematherapeutin und Autorin, folgende Grundbedürfnisse gefunden:

  • Bedürfnis nach Bindung und Dazugehören
  • Bedürfnis nach Lustgewinn/Unlustvermeidung und unmittelbarem Selbstausdruck
  • Bedürfnis(se) rund um Selbstwerterhöhung und Autonomie im Sinne von entwickelten Kompetenzen
  • Bedürfnis(se) zur Auseinandersetzung, Orientierung und Kontrolle sowie nach Erhalt und Erleben von Grenzen. 

Neben den zentralen Bedürfnissen nach Sicherheit und Orientierung sowie Sein-Dürfen wird denen nach Dazugehören (einen Platz bei den Menschen haben) und Autonomie (den eigenen Platz gegenüber anderen Menschen behaupten) zentrale Bedeutung beigemessen. Diese Bedürfnisse teilen wir mit den allermeisten Tieren. Darüber hinaus ist es für uns Menschen wichtig, unsere Persönlichkeit und unsere Kompetenzen zu entfalten, uns unserer Werte bewusst zu werden und danach zu leben sowie uns stimmige Ziele zu setzen und diese auch zu erreichen.

Menschen brauchen Sicherheit und Orientierung. Und sie brauchen die Gewissheit: Ich gehöre dazu. Ich darf hier sein. Ich werde respektiert und anerkannt. Erst dann können wir uns erlauben, eigene Schritte zu gehen, die eigene Identität und Individualität zu entwickeln, sich abzugrenzen und zunehmend Interessen und Kompetenzen zu entwickeln, die nicht primär im Dienst von Sicherheit und Zugehörigkeit stehen. 

Genau darum geht es, wenn FaulenzA auf meinTestgelände singt: „Ich frage mich, bei welchen Menschen ich mich selber wohl am liebsten mag. Wenn ich nicht ich sein kann, hab´ ich nur einen miesen Tag.“ Eingebettet sind diese Zeilen in einen Text, der Selbstannahme und Zuversicht ausstrahlt. Die Beiträge von FaulenzA (https://www.meintestgelaende.de/author/faulenza ) sind in ihrer Gesamtheit Beispiele dafür, wie ein Mensch aus Erfahrungen der Abwertung und Ausgrenzung gestärkt hervorgehen kann. 

Warum viele trans* Jugendliche Verunsicherung und Ausgrenzung erleben

Die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ dienen in den meisten Gesellschaften als fundamentales Unterscheidungskriterium. „Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“ ist eine der ersten Fragen, die Eltern hören, wenn ihr Baby auf die Welt gekommen ist. Damit verbunden sind – bewusst und unbewusst – eine Reihe von Zuschreibungen (Eigenschaften, Bedürfnisse, Kompetenzen) sowie Verhaltens- und Rollenerwartungen.

Wie geht es nun aber Jugendlichen, die spüren: „Ich bin gar kein Mädchen – auch, wenn mein Körper danach aussieht und alle von mir erwarten, dass ich mich damit identifiziere: Ich bin ein Junge!“ (und umgekehrt)? Oder die sich nicht eindeutig einer der beiden Kategorien zuordnen lassen oder wollen?

Sprüche wie „Du bist aber komisch!“, „Eh‘, bist du ´n Kerl oder ´n Weib?“ oder gar „Hau, ab, du bist ekelig!“ haben Trans*Jugendliche seit ihrer Kindheit immer wieder von Gleichaltrigen gehört – eben weil sie „irgendwie anders“ wirk(t)en und mit ihren Interessen und Verhaltensweisen nicht ins Schema von Zweigeschlechtlichkeit oder dem ihres zugewiesenen Geschlechts pass(t)en.

Erwachsene mahnten oft wohlwollend oder kritisch: Benimm dich doch mal wie ein richtiges Mädchen!“. „Kannst du dich nicht mal wie ein Junge verhalten?!“, „Wenn du mal einen Rock anziehen würdest, die Haare netter tragen, mehr lächeln würdest, …, dann hättest du auch nicht so viele Probleme mit anderen!“ 

Wer sich nicht eindeutig zuordnet oder zuordnen lässt, irritiert die Wahrnehmungs- und Denkgewohnheiten vieler Menschen. Das kann verunsichernd und manchmal auch unbequem sein: Für Gleichaltrige, für Eltern, für Lehrer*innen, Vorgesetzte etc. Und oft geht dies auf Kosten der „Betroffenen“ selbst.

Dagegen singt FaulenzA an: „Ich bin nicht widersprüchlich, ich bin einfach nur ich. Ein Wunderwesen und deswegen einzigartig!“ und weiter: „Es gibt viele bunte Wesen und so viele bunte Welten!“

Ihre Lieder machen Mut: „anders zu sein“, Normen zu hinterfragen und sich selbst anzunehmen. Und sie stärken auch, nicht nur transidente Jugendliche. „Anders sein“ erleben v.a. Jugendliche in vielfältiger Weise. Vielfalt zuzulassen kann also für alle befreiend wirken. Es macht die Welt für alle bunter.

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Mehr von FaulenzA:

https://www.meintestgelaende.de/author/faulenza/ 

https://www.youtube.com/user/AutonomeMaus

 1 vgl. Grimm (2020a) – Grimm, Sabine: Zur Arbeit mit dem Grundbedürfniskreuz. In: DAJEB: Beratung als Profession. Ausgabe 4 / 2020. S.5ff. Ort: https://www.dajeb.de/fileadmin/dokumente/04-publikationen/beratung-als-profession/beratung-als-profession-2019-3.pdf – aufgerufen am 25.11.2020

2  z.B. die Bedürfnispyramide von Abraham Maslow.

3  Zusammenstellung auf Grundlage von Lammers (2016), S. 22f. In: Grimm (2020a)