Kritik gab es immer – aber nun wird sie konkret. Nachdem immer mehr Einzelheiten zum Umgang von GNTM mit den Models bekannt werden, musste Heidi Klum reagieren – und tut dies außerordentlich geschickt, findet Claudia Wallner.
Was für ein Auftakt von GNTM gestern! Ende Januar hatte Moviepilot in einem Artikel getitelt:
„die Kritik an GNTM erreicht eine neue Dimension und Heidi Klum kann die Vorwürfe nicht länger ignorieren“
Aktuell ließ die ehemalige Teilnehmerin Tessa Bergmeier im Dschungelcamp die Zuseher*innen an ihren Erfahrungen teilhaben, immer mehr Ehemalige erzählen u.a. über Druck und die Zuweisung von Rollen (Quotenzicke). Den größten Coup aber hat wohl im letzten Sommer Lijana Kaggwa mit ihrem knapp halbstündigen Video gelandet, in dem sie ausführlich aus ihrer Perspektive die Praktiken der Produktion seziert. Geholfen hat dabei, dass das Landgericht Hamburg die vertraglich vereinbarte „umfassende und zeitlich unbefristete“ Schweigepflicht, die alle Kandidatinnen unterzeichnen müssen, als unwirksam ansah und die Veröffentlichung des Videos so nicht gestoppt werden konnte.
Wird die Produktionsfirma reagieren?
Viele spekulierten in den vergangenen Tagen, ob und wenn ja wie die Produktion wohl auf all die detaillierten Vorwürfe reagieren würde zum Start der neuen Staffel. Und dann war es gestern so weit: Die Sendung begann mit einem Paukenschlag! Ganze 10 Minuten saß Heidi Klum auf ihrem Regiestuhl in Jeans und Pulli und arbeitete die Vorwürfe insbesondere aus dem Video von Lijana Kaggwa Punkt für Punkt ab. Dabei wählte sie einen äußerst geschickten Zugang: das Thema Diversity. Zwar las sie all die Vorwürfe gegen GNTM in Bezug auf die Behandlung der Kandidatinnen* oder gescriptete Rollen vor, bezog sich dann aber auf die Überschrift: „Verachtung, aber jetzt wenigstens divers!“ Früher – so Klum und das belegte sie mit alten Filmausschnitten von ihr als junges Model – sei das Modelbusiness exkludierend und eindimensional gewesen: Sie selbst hätte kaum auf dem Laufsteg arbeiten können, weil sie zu klein und ihre Brüste zu groß gewesen seien und sie nicht in Größe 34 reingepasst hätte. Heute aber – und dafür stehe GNTM – sei der Modelmarkt auf Vielfalt ausgerichtet – alles sei heute möglich und würde von GNTM nicht nur abgebildet, sondern explizit durch die Auswahl der Teilnehmerinnen* gefördert. Eine interessante Strategie: Damit lenkt Klum von den umfassenden Kritiken bezüglich des Umgangs mit den Kandidatinnen* ab und fokussiert stattdessen auf ihre Diversität: Wenn wir doch so unterschiedliche Frauen* in unsere Show holen, dann können wir nicht exkludierend sein, ganz im Gegenteil! Wir sorgen dafür, dass die Modelwelt alle Körper anerkennt, wir sind Diversity! Auf dieser Folie arbeitet sie dann die einzelnen Vorwürfe ab und untermalt durch jeweils das Gegenteil „beweisende“ Ausschnitte aus vergangenen Staffelfolgen, dass nichts von den Vorwürfen wahr sei:
- durch Bildschnitte könnten keine Charaktere verändert werden
- die Mädchen entschieden selbst, was sie sagen und wie sie sich öffentlich präsentieren
- es werde nicht an den Schuhen manipuliert, um die Models zum Stürzen zu bringen
- dass die Models mit der Außenwelt nicht kommunizieren dürften und auch nicht die Villa eigenständig verlassen während der gesamte Drehdauer sei lediglich zu ihrem Schutz und damit sie keine Inhalte spoilern
- der Jugenschutz überprüfe jede Folge
- etc.
Cybermobbing kenne sie selbst, sagt Klum und würde, wenn sie könnte, alles tun, um diesem Hass ein Ende zu setzen. Dass so manche Darstellung einer Teilnehmerin* diesen Hass geradezu herausfordert, sagt sie nicht.
Mit dieser Strategie versucht Klum, die Vorwürfe zu nivellieren und zu personalisieren: Wir als Produktion stehen für das Große, Gute: Diversity! Wenn die angehenden Models sich schlecht behandelt fühlen, dann sollten sie erstmal bei sich selber schauen, wo ihre eigenen Anteile liegen. Schließlich haben sich wieder über 7.000 junge Frauen für die aktuelle Staffel beworben und die können ja nicht alle falsch liegen.
Und dann beginnt die Show
Dass die gesamte Gegenstrategie auf Diversity aufbaut, zeigt sich dann auch im Verlauf der Sendung: nicht alle Models werden ausführlich vorgestellt, sondern die „Besonderen“: Eine erklärt sich als Feministin, weil ihre Outfits provozieren, eine hat Schreckliches im Leben erlebt und im tiefen Glauben Halt gefunden, eine lehnt Body Positivity ab, weil sie das nicht braucht und auch die Zicke ist schon ausgemacht. Es zeigt sich: Es hat sich nichts geändert! Die „Mädchen*“ erstarren in Ehrfurcht davor, Heidi zu treffen und werden von ihr abwechselnd als zu still, zu langweilig, zu schlecht vorbereitet oder zu aufgedreht einsortiert.
Für den ersten Walk laufen sie für den Designer Peter Dundas, der ihnen vor allem einen Tipp mit auf dem Weg gibt: Er möchte einen „strong walk“, und deshalb fordert er: „don´t use your hips, walk like a boy!“ – eine besonders „diverse“ Haltung – aber ja, wie Heidi zum Beginn schon sagte: Wir sind divers, aber was die Designer sagen und machen, das liegt nicht in unseren Händen und wie die Mädchen sich verhalten und zeigen, das auch nicht. Die Schuldfrage ist damit geklärt und deshalb kann es weiter gehen wie immer. Es bleibt abzuwarten, ob diese immer gleiche Strategie der Ausbeutung und des Vorführens junger Frauen auch weiterhin so erfolgreich bleibt – jetzt, wo alle wissen können, wie es wirklich ist, Teilnehmerin bei GNTM zu sein.
Heidi Klum jedenfalls – oder auch die Produktionsfirma von GNTM – haben gezeigt, dass sie nicht Willens sind, irgend etwas an ihrem Konzept zu verändern.