Gender macht Probleme – Sex auch

Welche Geschlechterthemen junge Menschen beschäftigen, hängt auch von ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung ab. Das Geschlechter-Ich wirkt vielfältig.

Welche Perspektiven werfen Jugendliche auf Geschlechterthemen?

„Was immer ihr zu Geschlecht zu sagen habt, hier könnt ihr es tun. Ob Geschlechterbilder, gesellschaftliche Zuschreibungen, Körpernormierungen, Sein in einem Geschlecht, ob positive oder negative Erfahrungen oder Gedanken, you´re welcome!“

Was also sagen junge Menschen zu Geschlechterthemen? Vorweg: Geschlecht im Körper, in gesellschaftlichen Vorstellungen und in der sexuellen Orientierung und den Liebensweisen macht Jugendlichen aller Geschlechter eher Probleme als dass von Stolz und Freude berichtet wird. Allein das ist schon eine erschreckende Erkenntnis. Jugendliche und junge Erwachsene berichten vom Druck, rollenkonform sein zu müssen und von Zuschreibungen, so oder so ein „richtiger“ Junge, ein „richtige“ Mädchen sein zu sollen oder aber als trans* oder inter* Jugendliche*r weder Vorbilder zu haben noch Anerkennung zu bekommen. Die meisten Jugendlichen berichten von Schwierigkeiten und Nöten, nur wenige von Freude und Lust:

  • Inter* oder non-binary Jugendliche, die also von der vermeintlichen Norm „weiblich oder männlich“ abweichen, sich nicht einem dieser beiden Geschlechter zuordnen wollen oder können, sich gar nicht geschlechtlich verstehen oder sich zwischen weiblich und männlich bewegen, beschreiben in erster Linie harte Ablehnungen von anderen Menschen und fehlende Alltagsstrukturen: was ist mein Pronomen? Wie werde ich angesprochen, wie wird über mich gesprochen, wenn ich kein Pronomen habe, weil es in der deutschen Sprache nur er, sie und es gibt und nichts davon für mich passt? Wo kann ich mich umziehen oder auf Toilette gehen, wenn es immer nur Frauen- und Männerräume gibt? Inter* Jugendliche berichten von Gewalt, von Versuchen, sie ins Geschlechtersystem zu zwingen und von Ängsten, nicht anerkannt zu werden oder nicht unversehrt durch die Jugend zu kommen. Innere Prozesse der Klärung, wer sie sind, beschreiben sie eher als positiv oder zu bewältigende Aufgabe, die Ausgrenzung und Abwertung durch Menschen hingegen wird als sehr belastend erlebt.
  • Mädchen problematisieren Erfahrungen sowohl im Genderbereich als auch körperbezogen: das Bewerten von Mädchenkörpern durch andere Menschen aber auch und gerade durch social media und Influencer*innen macht Druck und Not und wirkt sich bei vielen Mädchen auch auf die Psyche aus: ich bin nicht richtig, man kann mich nicht mögen, ich sollte schöner sein, mein Körper ist hässlich … viele Mädchen hadern mit sich und ihrem Körper, fühlen sich unzulänglich und finden keine Frieden mit sich selbst und ihrem Körper, weil die von außen formulierten Bilder und Ansprüche zu einseitig und zu drastisch sind
  • Verbale und körperliche Übergriffe auf Mädchen sind nach wie vor ein großes Thema für Mädchen. Viele können aus dem Stehgreif Dutzende Situationen beschreiben, in denen sie ungebeten angefasst, taxiert, bewertet oder beschimpft wurden und das über viele Jahre. Öffentliche Räume erscheinen oftmals nicht sicher, bildlich gesprochen bewegen sich viele Mädchen mit eingezogenem Kopf um nicht aufzufallen, weil auffallen oftmals heißt, ungebeten mit negativen Zuschreibungen und Berührungen in Kontakt zu kommen. 
  • Mädchen wissen, dass sie gleiche Rechte haben wie Jungen, sie wissen aber auch, dass dies oftmals leere Versprechungen sind: viele können sich nicht so bewegen, wie sie es gerne möchten, haben Angst am späten Abend draußen, werden stärker als Jungen kontrolliert, aber das gesellschaftliche Gleichberechtigungsversprechen macht es ihnen schwer, diese Erfahrungen als Benachteiligungen einzuordnen
  • Jungen beschreiben oft Probleme im Genderbereich, insbesondere zu enge oder als nicht passend empfundene Männlichkeitsanforderungen, unter denen sie leiden, weil sie anders sind oder anders leben wollen. Dazu gehören etwa die Anforderung ’stark‘ Sein zu müssen oder auch die Verurteilung oder Abwertung von Tätigkeiten und Vorlieben in ‚weiblich‘ zugeschriebenen Feldern, etwa dem Tanz, der Fürsorge, dem Zuhören, bestimmten Farben, Formen oder Berufen. Dies gilt auch für Jungen, die als muslimisch/arabisch/türkisch gelesen werden und denen deshalb ein patriarchales Männerbild unterstellt wird. Auseinandersetzungen mit Männlichkeiten erzeugen bei vielen Jungen hohen (Leidens)Druck und oftmals wissen sie nicht, wie sie positiv mit Männlichkeit in Verbindung treten können
  • schwul sein ist immer noch das Gegenteil akzeptierter Männlichkeit, weshalb gerade homosexuelle Liebensweisen bei Jungen große Ängste und Schamgefühle auslösen; sie fühlen sich nicht akzeptiert, ausgegrenzt, abgelehnt und berichten über Gewalterfahrungen
  • wenig Auseinandersetzungen gibt es mit Körperthemen: Jungen beschreiben kaum ihr Verhältnis zum eigenen Körper und thematisieren auch nur selten, dass und wenn ja wie sie von außen auf ihre Körper angesprochen werden; auch das Gewaltthema – eine Erfahrung, die viele Jungen mit ihrem Körper machen, wird nicht thematisiert jenseits der Erfahrungen homosexuell liebender Jungen
  • besonders das Thema Gefühle ist bei Jungen stark tabuisiert. Nicht nur, dass sie Gefühle nur in klar definierten Sequenzen zeigen dürfen (z.B. beim Torjubel bzw. Wettkampfende oder in Extremsituationen wie Tod und Geburt); Jungen verlernen auch das Empfinden von Gefühlen („Stell dich nicht so an!“ „Das ist kein Mädchensport“ „Ein Indianer kennt [sic!] keinen Schmerz“) und sind dann oft emotional verwirrt und gelten als ‚gefühlskalt‘
  • trans* Jugendliche beschreiben auf meinTestgelände zwei große Themenlinien: die eine ist die innere und körperliche Anpassung, die oft wie das Erreichen eines großen Ziels positiv beschrieben wird. Die andere Linie ist die der Akzeptanz durch andere Menschen und die ist oftmals viel weniger positiv: zu den schwersten Hürden gehört die Verweigerung der Anerkennung ihres Geschlechts: „er war früher ein Mädchen, sie ist ja gar kein richtiges Mädchen, trans* Jungen können nicht in Angebote der Jungenarbeit gehen und auch nicht in die Mädchenarbeit“ sind Zuschreibungen, die verletzen und ausgrenzen und ihnen das Gefühl vermitteln, eigentlich keinen Platz nirgendwo zu haben, sich außerhalb der Geschlechtermatrix zu bewegen, obwohl gerade trans* Jugendliche sich intensiv mit ihrer Geschlechtszugehörigkeit beschäftigen und oft sehr klar darin sind, welchem Geschlecht sie angehören.

Im Kern geht es häufig um Abweichungen und Zuschreibungen, nur mit unterschiedlichen Themen, was die Geschlechter angeht. Deutlich wird aber in der Zusammenschau der vielen Beiträge Jugendlicher auf meinTestgelände, dass Geschlecht in der Jugendphase viele Probleme macht. Weil aber die Gleichberechtigung der Geschlechter proklamiert wird und dass heute Geschlecht keine Rolle mehr spielt, sind all diese Probleme, die Jugendliche beschreiben, schwierig ansprechbar, die Bewältigung wird dadurch individualisiert. Umso wichtiger sind solche Websites wie meinTestgelände, wo Jugendliche sagen können, welche Probleme Geschlechterthemen ihnen machen und wo Fachkräfte und Erwachsene, die mit Jugendlichen in Kontakt sind, lesen können, was Jugendliche bewegt, um sie besser zu verstehen.

Wie es uns gelingt, alle Geschlechter zu beteiligen, lesen Sie hier.